Gezeichneter, grellbunter Clown

Joker

Filmkritik zur Sneak-Preview einer US-amerikanischen Comicverfilmung

Gezeichneter, grellbunter Clown
(Originalbild: Jacqueline Macou, Pixabay, gemeinfrei)

Lesezeit: 4 min | Kein Spoiler!

Es gibt Sequels, also Fortsetzungen von Erzählmaterial in Textform, Spielen, Hörspielen und Filmen, dann gibt es Prequels, also Vorgeschichten zu bereits veröffentlichten Werken und dann gibt es Origin-Stories, also Geschichten, die sich den ursächlichen, inhaltlichen und zeitlichen Wurzeln von Charakteren, Ereignissen und Umständen in Literaturvorlagen und deren Umsetzung widmen. Genau solch eine Form stellt der Film Joker des fast 50jährigen Todd Philips dar.

Philips, bekannt seit den 2000er Jahren als Regisseur und Drehbuchautor von Filmen wie Starsky & Hutch, der Hangover-Trilogie und Wardogs, als Produzent von Filmen wie Project X, A Star is born und Old School – Wir lassen absolut nichts anbrennen hat sich in einigen diese Filme gleichenfalls als Darsteller verdingt. Seine Ämterhäufung trifft dabei ebenso auf den hier besprochenen Film Joker zu: Gemeinsam mit Scott Silver (Drehbücher für: 8 Mile, The Fighter, The Finest Hours) hat Philips das Drehbuch geschrieben, mit Bradley Cooper (Schauspieler in Ohne Limit, Silver Linings, American Sniper) und Emma Tillinger Koskoff (Produzentin von Shutter Island, Hugo Cabret und The Wolf of Wall Street) die Produktion übernommen und vor allem alleine die Regie geführt. Ein recht hochkarätiger Stab, den er da um sich versammelt hat.

Die Geschichte

Die Geschichte dreht sich dabei um die Person Arthur Fleck, die in der inzwischen 80jährigen Chronologie später als grotesker Horror-Clown und Gegenspieler von Flattermann Batman in den Comics auftaucht. Der Film zeichnet einen wichtigen Abschnitt der Biografie dieses Protagonisten wider. Weder ist aber der gezeigte Joker-in-spe orthodoxer Teil des Geschichten-Universums von DC Comics1, noch fügt er sich in bekannte Handlungsstränge ein2 (okay, geht ja wohl auch nicht, da er allen bekannten Handlungssträngen vorausgeht 🙄).

Im eigentlichen Sinne handelt es sich bei dem vorliegenden Film vom Genre her um ein reinrassiges Drama, vom Filmtypus her um um ein sog. Bio-Pic, was sich in diesem Falle als komprimierte Form eines Psychogramms niederschlägt. Der Zuschauer erfährt anhand rekonstruierter Live-Events3, wie sich, ausgelöst durch eine traumatische Lebensepisode in der Kindheit der Hauptfigur, psychische Auffälligkeiten verstetigen. Nachgezeichnet wird im Film nun genau der Lebenszeitpunkt des Arthur Fleck zum Anfang der 1980er Jahre, bei dem sich die Situation durch eine Verkettung nachteiliger Umstände zu einer Katastrophe verdichtet.

Original-Trailer von Warner Bros. Deutschland auf YouTube

Die erzählerische Umgebung, die fiktive Stadt Gotham City, ein unverkennbares Abbild des modernen New York der Vereinigten Staaten, spielt dabei der Dramatik eindruckvoll in die Hände: Offene Gewalt, ein entfesselt kapitalistisches Umfeld ohne jede Aussicht auf empathische Hinwendung zum Individuum und der schwelende Unmut der Massen gegenüber den offensichtlichen, sozialen Asymmetrien bilden den inhaltlichen Hintergrund für die Vollendung der Figur.

Schauspiel und Ästhetik

Dabei fällt auf, dass jegliche Anlehnung an die überzeichnete, grelle und laute Eigenheit eines Comics, die erzählerische Grundlage der Figurenidee, ausgespart wurde. Weder aufwändige CGI-Effekte, noch bildästhetische Abstraktionen lassen auf die Grundkonzeption dieser Geschichte schließen. Einzig das in den Medien allenthalben hochgejazzte Schauspiel des hochklassigen Joker-Darstellers Joaquin Phoenix (bekannt u. a. aus: U-Turn – Kein Weg zurück, 8mm – Acht Millimeter, Gladiator, Her, The Sisters Brothers) lässt vor allem durch das krankhaft getriggerte Lachen noch eine Verbindung zu den irrealen Welten gezeichneter Geschichte erahnen.

Im Lauf der Entfaltung der Handlung entpuppt sich der Film als für eine Comic-Adaption zu dünn, für eine seelenkundliche Ursachenanalyse hingegen viel zu dick. Ohne Zweifel ist die darstellerische Leistung von Joaquin Phoenix als deutlich über dem Durchschnitt zu bewerten. Grandios ist sie jedoch nicht, kann sie auch nicht sein. Und das liegt weniger am Akteur als am sehr linearen Drehbuch-Charakter der Figur. Es wäre schön gewesen, wenn außer dem wahnsinnigen Lachen noch andere, vielschichtigere Aspekte deutlich geworden wären.

Was ist dieser Film nun?

Meiner Meinung nach hat der FIlm nur noch wenig mit der Comic-Vorlage zu tun. Es ist ein als Entwicklungsprozess gesponnenes Psycho-Drama ähnlich wie Fight Club, allerdings ohne die pointierte Grandezza des Tyler Durden (Brad Pitt), es ist eine irgendwie an einen Comic angelehnte Geschichte wie beispielsweise Sin City, allerdings ohne die elegant stilisierte Optik der dystopischen Anderwelt. Es ist eine schauspielerische One-Man-Show, allerdings trotz der tragischen Figur viel absehnbarer und eindimensionaler als z. B. der Dr. Hannibal Lecter im Schweigen der Lämmer.

Wer rasante Action analog den Batman-Filmen erwartet, sollte sich einen schönen Netflix & Chill-Abend auf dem Sofa genehmigen, wer mentale Patholgien, verpackt für ungeschultes Küchen-Psycho-Personal in Bild und Ton sehen möchte, ist mit dem Film gut bedient. Auch wer als Fanboy oder -girl eine weitere Facette eines legendären Bösewichtes kennenlernen mag, ist unterhaltuungstechnisch mit dem Film ordentlich beraten.

Filmstart: 10. Oktober 2019
Land/Jahr: USA, 2019
Regie: Todd Philips
Cast: Joaquin Phoenix, Robert De Niro, Zazie Beetz
Länge: 122 min
Genre: Drama, Krimi, Thriller
Altersfreigabe (FSK): 16
Bewertung: 7/10
  1. Quelle: Borcholte, Andreas: Gar nicht komisch, dieser Clown. Spiegel Online vom 31.08.2019
  2. Amaya, Erik: Everything we know about Todd Philips‘ Joker so far. Rotten Tomatoes vom 28.08.2019
  3. Life-Event-Forschung (engl. life event research)[…] beschäftigt sich mit der Frage, welche Auswirkungen kritische Lebensereignisse auf Entstehung und Verlauf psychischer Störungen haben.“, Reinecker, H. (2019). Life-Event-Forschung. In M. A. Wirtz (Hrsg.), Dorsch – Lexikon der Psychologie. Abgerufen am 14.10.2019, von https://m.portal.hogrefe.com/dorsch/life-event-forschung-1/