ROM 06|19

Mit dem Radl zum Seppi

Mit Pferd und Karren unterwegs (Foto: Wikimedia Commons, Relief-Ausschnitt der Trajanssäule/Rom, gemeinfrei)

Das hatte ich schon lange einmal vor: Ein gänzlich anderes Verkehrsmittel zu benutzen im Zentrum des Römischen Reiches. Stellen wir uns kurz einmal vor, wir hätten gerade das Jahr DCCCLXXII A U C (872 ad urbe condita, lat. seit Gründung der Stadt; gemeint ist das Alte Rom natürlich). Nach unserer Zeitrechnung befinden wir uns also 119 Sommer nach der Geburt dieses aramäischen Zimmermannssohnes und Wanderpredigers. Und es soll noch geschlagene 1900 Umrundungen der Erde um die Sonne dauern, bis im entfernten Lutetia ein mächtiger Großbrandt den Dachstuhl eines Tempels zu Ehren eben dieses Mannes fast vollständig zerstört.

Publius Aelius Hadrianus ist seit dem Tod seines Großonkels Marcus Ulpius Traianus vor zwei Jahren Kaiser dieses mächtigen und weitläufigen Römischen Reiches. Sein voller Titel lautet Imperator Ceasar Traianus Hadrianus Augustus, kurz: Hadrian. Gleichzeitig bekleidet er in diesem Jahr zusammen mit dem wenig bekannten Publius Dasumius Rusticus das Amt des Konsuls. Das Pantheon auf dem Marsfeld ist seit einem halben Jahrzehnt im Bau, der Krieg gegen die Parther führte durch die Eroberungen Armeniens, Mesopoamiens und Kurdistans zur größten Ausdehnung des Reiches ever. Die nachfolgenden Probleme in den besetzten Gebieten bewogen den jetzigen Kaiser jedoch, durch Gebietsrückgaben und geschickte Diplomatie eine friedliche Stabilität wiederherzustellen und dauerhaft zu sichern .

Der Vorgänger Hadrians, Trajan, hatte dem gewaltigen, europäischen Netz römischer Staats- und Heerstraßen eine weitere hinzufügen lassen: In Umgehung eines Teiles der schon bekannten Via Appia ließ er drei Jahre vor seinem Tod von Benevetum (heute: Benevento) bis Brundisium (heute: Brindisi) eine komfortablere Abkürzung über Bari bauen, die Via Traiana, die die Reise von der Hauptstadt des Reiches bis zum Absatz des italienischen Stiefels um 2–3 Tage verkürzte.

Die Via Appia (rot), sowie die „neue“ Umgehung, die Via Traiana (blau). (Foto: Wikimedia Commons, William R. Shepherd, 1923, gemeinfrei)

In der Hauptstadt ist es schon spät am Morgen des VIII IDUS DECEMBER DCCCLXXII A U C DIES VENERIS (krasse Umrechnung, weil der römische Mond-Kalender nur 354 Tage hatte und sich dadurch ständig alles verschob: Freitag, der 6. Dezember 119). Eine ganz zarte Brise zieht von Nordosten aus der Stadt heraus Richtung Süden. Während die gehobene Gesellschaft in ihren Stadtvillen noch im tiefen Schlafe weilt, schiebt sich bereits eine endlose Karawane von Händlern, Handwerkern, Soldaten, Mägden, Sklaven und sonstigem, fahrenden Volk über das akurate Steinpflaster der wichtigen appischen Handelsroute.

Noch im letzten Frühjahr, exklusiv für die schwer bei Laune zu haltende, römische Hautevolee, hatte der Senat umfangreiche Ausbessungsarbeiten an der vielgenutzten Verkehrsachse vornehmen lassen, damit die alljährliche, sommerliche Flucht aus der stickigen Metropole in die nahegelegenen Albaner Berge kein kritikwürdiges Unterfangen werden musste. Ein nicht zu unterschätzender Anteil der wohlhabenden Patrizier hatte nämlich ihre herrschaftlichen Landsitze an den fruchtbaren Hängen eines seit ca. 20.000 Jahren erloschenen Vulkans errichtet. Das hügelige Naherholungsgebiet, gesegnet mit weiten, saftigen Grünflächen, einem dichten Baumbestand und zahlreichen Seen war schon Rückzugsort für viele, bekannte Personen wie Lucullus, Caesar, Cato und Cicero gewesen.

Am Nadelöhr der Porta Capena, einem Stadttor in der seit über 500 Jahren stehenden Servianischen Mauer im Südosten der Stadt, gleich vis-a-vis des Circus Maximus, entfesselt sich derweil das übliche Gedränge aus Tieren, Fuhrwerken und Menschen. Die Männer der Stadtwache, eine gemischte Truppe der Cohortes urbanae, zur Armee zugehöriger Soldaten mit polizeilichen Befügnissen und den Vigiles, Angestellten der Feuerwehr, haben dabei alle Hände voll zu tun, das permanente Gemenge von Mensch und Material in vernünftige Bahnen zu lenken. Ihre lauten Stimmen und das einschüchternde Drohen mit den blinken Waffen stellen sich dabei wenig erstaunlich immer wieder als äußerst geeignete Argumentationshilfen dar.

Der Stadtplan des antiken Roms. Dunkelrot der umfriedete Bereich innerhalb der Servianischen Mauer aus der Zeit der freien Republik (Karte: gemeinfrei)

Außerhalb der Stadtgrenze verliert sich die extreme Dichte dankbarerweise ein wenig. Während die Via Latina (heute die Via Casilina, SS6) die Albaner Berge nördlich umgeht und nach Tusculum führt, verläuft die Via Appia im Süden entlang. Ich spaziere in aller Ruhe, es ist schon fast Mittag, von meiner Herberge aus durch einen Taleinschnitt des FLUVIUS ALMONIS (das heutige Caffarella-Tal mit dem kleinen Bächlein Almone) zu einer kleinen Taverne direkt an der Via Appia in der Nähe des Grabmales der Cecilia Metella, um mir dort ein – swoooosh, Zeitsprung – Fahrrad zu leihen.

Die ganze Stadt steht inzwischen voll mit den unübersehbar rot-leuchtenden Bikes der Uber-Tochter JUMP. Diese elektrisch unterstützten Velozipeds, äußerst solide gebaut scheinende Individual-Verkehrsmittel, haben jeodch zwei wesentliche Nachteile und kommen daher für mich auf gar keinen Fall in Frage: Erstens sind es vom Formfaktor her reinrassige Stadträder, mit massivem Körbchen und extremer Aufrecht-Sitzposition. Zweitens, viel gewichtiger, sollen diese blöden Dinger 50 Eurocent Grundgebühr pro Ausleihe plus 20 Cent pro Minute kosten! Das wären dann für drei bis vier Stunden Radtour so um die 40 € Euro! 😱

Die Nachfrage bzgl. Radausleihe abseits der innerstädtischen Touristenfallen führt mich zu eben dieser Taverne, die ich regelmäßig, und auch dieses Mal, bei meinem Gang IN die Stadt ansteuere. Dort finde ich das Preisgefüge vor, dass ich mir gewünscht hatte: 10–15 Euro für 3–4 Stunden. Geliehen, Führerschein hinterlegt, kurz in der Lokalität noch ein Caprese-Panino auf die Hand (ndt. togo) erstanden und ab die Post Richtung Albaner Berge auf der alten Handels- und Heeresroute. Mit dem deutlich geäußerten Zweifel des Radverleihers im Ohr, es wäre fast unmöglich, dass ich diese lange Streckehin und zurück bis vor Geschäftsschluss zurücklegen könnte und mit der Warnung obendrein, dass die Wegequalität irgendwann unterirdisch werden würde schwang ich mich auf den recht soliden Drahtesel, die Verpflegung vezehrgerecht in der einen, den Lenker in der anderen Hand ging es sogleich Richtung Süd-Südost.

Die ersten Kilometer bis zum Flughafen Ciampino sind mir dabei inzwischen fast so geläufig wie der wöchentliche Weg um den Cospudener See und sahen wie gewohnt so aus:

Via Appia Antica, 203/226, N 41°50’18.635″, E 12°32’9.024″ – Blickrichtung Südost (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Doch dann… – genau an der Stelle, wo ich vom Flughafen kommend normalerweise in Richtung Stadtmitte einbiege, sieht es in der anderen Richtung so aus:

Via Appia Antica, Nähe Kreuzung Via di Fioranello/Via dell’Aeroscalo – Blickrichtung Südost (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

…nach weiteren 500 Metern so:

Via Appia Antica (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

…dann noch ein Stückl später so:

Via Appia Antica (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

…und als es dann schließlich so aussah, bin ich auf die Hautstraße ausgewichen:

Via Appia Antica, estremamente fangosa (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Was ich mir bis dato so nicht bewusst gemacht hatte, war der Höhenunterschied, den es zu überwinden galt, um an den Kraterrand zu gelangen, auf dem sich mein Tagesziel befand. Ich wollte nämlich endlich einmal nach Castel Gandolfo, einem kleinen Ort oberhalb des malerischen Lago Albano. So stellte sich denn auch das Höhenprofil am Ende der Tour beeindruckend wie folgt dar:

(Screenshot aus der Android-App ’Locus‘)

Unterwegs gab es noch gespenstische Industrieruinen zu sehen:

Ein Fabrik? Ein Stadion? Ein Knast? Abandoned site.(Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Ach, und wusste eigentlich jemand, was diese mondäne Automarke, bevor sie 1963 mit dem Sportwagenbau begann, herstellte?

Ein senfgelbes Raupenfahrzeug von Lamborghini (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Richtig! Die 1948 gegründete Firma Lamborghini Trattori baute von den Allierten Streitkräften zurückgelassene Militärfahrzeuge zu dringend benötigten Landwirtschafts- und Bau-Fahrzeugen um.

Endlich erreichte ich dann, völlig breit, eingentlich komplett falsch angezogen für solch eine Radtour, aber total glücklich den Zielort:

Sieh da, sieh da… – die Produkte der Partnergemeinde sind auch nicht zu verachten. Für den eher größeren Geldbeutel, den mittleren und den kleinen. (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Aber es war durchaus lohnend, sich die 400 Höhenmeter hinaufzuquälen. Das Panorama von dem Städtchen hinab auf den See entschädigte für alle Strapazen. Hier ein Teil des Sees mit dem Ort:

Castel Gandolfo mit Lago Albano Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Den Seppi, bürgerlich Joseph Aloisius Ratzinger, seines Zeichens Ex-CEO der Katholischen Kirche mit Facebook-Status ’Netflix’n’chill‘ und dabei bestens untergebracht in der päpstlichen Sommerresidenz in CG, habe ich übrigens dann doch nicht gesehn. Und das lag maßgeblich auch daran, dass ich nach einer stärkenden Pizza-Pause wie den Blitz die 400 Höhen- und 20.000 Entfernungs-Meter wieder zurückgesaust bin, um mein Rad pünktlich vor Toresschluss wieder gegen meinen Führerschein einzutauschen.

Der anfänglich bei der Fahrradübernahme wenig begeistert wirkende Mann hatte mich als waschechter Mountainbiker nach dieser Tour, mit DEM Rad und in DIESER Zeit natürlich sofort in sein Herz geschlossen und wies mich gleich auf noch viel schönere Touren hin. Ich glaube, ich muss meine Rom-To-See-Liste noch ein wenig erweitern. Sie wird aber auch irgendwie nicht kürzer…😂