Zeichen lesen

Nun bin ich hier und lasse mich fallen. Die Nacht war ruhig, allerdings bin ich um 5:15 Uhr aufgewacht, vermutlich wegen… 😂 Ach, was.
Danach aber wieder schön eingeschlafen und um 8:30 Uhr aufgestanden, gewaschen und zum Frühstück (desayuno, man erinnere sich!) marschiert.
Noch das Abendessen gebucht, bezahlt und ab mit dem tollen Fiat 500 auf nicht mautpflichtigen Straßen nach Monserrat. Dort trotz Navi mehrere Male krass verfahren. Das liegt hier an den übelst verschlungenen Kreisverkehren in Verbindung mit vielfachen Abzweigungen, Über- und Unterführungen, Einbahn- und Stichstraßen. Begleitet wurde diese richtungslose Fahrerei von Audiogliders „Polydirective“:
Als ich an Terassa vorbei fuhr, ertönte „Rooftop Terrace“ von Devaloop:
Danach fand sich der Weg und genau in dem Moment, wo sich dieses

grandiose Panorama eröffnete, lief aus meiner Chillo-Playlist „God’s Channel“ von Astropilot:
Am Orte des Geschehens angekommen, das Autochen ordentlich im Parkhaus abgestellt, ging es erstmal mit einer Art Straßenbahn zum Kloster hoch.

Die Panoramen auf der Fahrt waren schon beeindruckend:




Dann die Ankunft in der Bergstation und der erste Blick auf Klostergebäude und den Schienenstrang:



Das Kloster liegt etwa auf halber Höhe eines sich nach oben hin trompetenförmig verengenden Taleinschnittes. Die gegenüberliegende Talseite sieht dann so aus:

Völlig überwältigt von der Verbindung zwischen Natur und Architektur orientierte ich mich zunächst auf dem Hochplateau:



Ganz unvermittelt entdeckte ich, dass hier oben auch ein Zubringer zum Jakobsweg existiert, sichtbar u. a. am gelben Pfeil:

Zwar folgte ich dem Ruf nach Santiago nicht, aber der Wegweiser inspirierte zu einer Wanderung südöstlich um das Massiv herum. Eine Art Gottesmutter-Gedenkweg – alle paar Meter sind kleine Votivschreine in Form von gekachelten Ikonen auf den Fels aufgebracht – führt durch einen herrlich duftenden und dankenswerterweise schattigen, mediterranen Mischwald. Mit jedem Schritt wird dieser Pfad für die anwesenden Massen von Touristen augenscheinlich unattraktiver und so haben sich nach wenigen hundert Metern die gleichgesinnten Personen auf einige wenige dezimiert. Andacht, Ruhe und Besinnung kehrt ein.

Drei junge Frauen stehen nach einer ganzen Weile ratlos auf dem Weg und fragen mich – auf Grund meines beschwingten, sicheren Schrittes offenbar abnehmend, ich wüsste mehr – wie weit sich dieser Weg wohl noch so hinzöge. Ich lächle und gebe frank und frei zu, dass ich auch nichts weiß, und einfach weiterzugehen gedenke, bis es nicht mehr geht. Die drei lächeln verlegen und entscheiden sich ob dieser präsentierten Unwägbarkeit umzukehren. Ich erschnüffele derweil lauschige Orte zum Verweilen, Nachdenken, Sich-Sinken-Lassen und setze mich hier und dort nieder.



Mein Blick schweift in die Ferne. Hinter dem Dunst am Horizont zeichnen sich eindrucksvoll die Gipfel der Pyrenäen ab, hinter einer samtig-grünen Hügelkette versteckt sich Barcelona, Flüsse und Schnellstraßen durchschneiden die hügelige und bergige Landschaft, meine Gedanken werden von zartem Vogelgesang und dem Rascheln der Blätter, den befreienden Horizonten und betörenden Gerüchen zu Erinnerungen in ferner Zeit getragen.
Hach, das Pilgern…!
Ein behendes, bezüglich des zur Verfügung stehenden Raumes geradezu verhaltenes Umfassen der Welt. Ein unmittelbares Ermessen des irdischens Seins. Eine leise Liebeserklärung an die sichtbare Schöpfung. Und gleichzeitig ein Loslassen von Allem mittels Durchdringung. Wahrnehmen und doch nicht für wahr halten. Berauschtsein in gleichzeitig hingebungsvoller Ernüchterung.
Mein Marienpfad fand schließlich doch ein Ende. Auch wenn unterwegs eine symbolische Sonne eine Verlängerung anbot:

und mitteilsame Bauwerke zum Bleiben aufforderten:

So zog es mich nach einer guten Stunde der Kontemplation doch wieder zum Ausgangspunkt zurück. Weitere Wege warteten darauf, begangen zu werden, luftige Höhen lockten mit umfassenderen Aussichten.

Noch eine kurze Runde durch die ungewöhnliche Höhen-Siedlung:



Da ich schon frühzeitig am Tage beschlossen hatte, diesen Ort mindestens noch ein zweites Mal aufzusuchen, sparte ich diverse Sehenswürdigkeiten, das Museum und die schwarze Madonna beispielsweise, für diesen Tag aus. So nahm ich stattdessen anschließend eine weitere Bergbahn, und ließ mich nochmals 250 m höher fahren.


Das Bild der Vegetation änderte sich stark. Felsen drängten sich zwischen knorrigen Bäumen und flacheren Büschen und Sträuchern gen Himmel. Und auch die Anmutung von Wegen in dieser Gegend wechselte:

Und dann stand ich vor dem Bild, welches mich an diesen Ort gelockt hatte. Mit anderem Tageslicht zwar war es doch unverkennbar der Blick auf das Gebäude-Ensemble vom anonymen Foto aus dem Internet, der mich schlagartig in Resonanz gehen ließ:

Ab da ging es aber eigentlich erst richtig los. Das ist wie beim Meditieren: Wenn man glaubt, das wäre es jetzt wirklich gewesen, und alles baue letztendlich nur auf dem bereits Erlebten auf und wäre also eine zwar neue, aber doch einigermaßen erwartbare Variation des Bekannten, heißt es, achtsam zu sein. Ganz besonders achtsam! Weil genau dort die eigentlich Arbeit beginnt. Alles an erworbenem Wissen, alle erfahrenen und sortierten Hinweise sind hier in allerhöchster Konzentration beisammen zu nehmen. Sie sind in einem steten Prozess zu verknüpfen und mit gleichzeitiger schmetterlingshafter, selbstverständlicher Unbekümmertheit und alle Konsequenzen im Blick habendem, heiligen Ernst in die Waagschale zu werfen. Samt seiner selbst!
Chöd.
Und dann taucht das auf:

Ein Sichtfeld, teilweise weit über hundert Kilometer in die Landschaft hinein. Im Norden und Osten begrenzt durch die Pyrenäen, im Süden durch das Mittelmeer und im Westen durch das ausgedehnte Ebro-Becken.
Ich mag das Original von Marvin Gaye & Tammi Terrell wirklich sehr, aber diese Version von „Ain’t no mountain high enough“, gesungen von Ramona Nerra und Butch Williams passt zu den Höhenzugen rund um mich herum noch viel besser:
Und von dort startet eine lange Wanderung zu den Einsiedeleien der Heiligen Magdalena, des Heiligen Johannes und des Heiligen Onofrio. Und während ich so durch die zerklüftete Gegend spaziere und steige, kommt mir der Einfall, dass die Hiergewesenen mit dem Bau dieser Rückzugsräume sich eine karmische Erinnerung lebendig machen wollten, die sie Jahrhunderte vorher im Mutterland ihrer Kirche, dem heutigen Libanon, durchlebt hatten.

Also habe auch ich mich an einem solch exponierten Platz niedergesetzt und mich in mich, also die Welt hineingesenkt, bevor ich zu Fuß den Weg hinunter angetreten habe. Selbstredend nicht, ohne dass anfängliche Kreuz noch zu besuchen:

Von der anderen Talseite hatte ich bei inzwischen sehr tief stehender Sonne dann folgende Perspektive:

Als ich dann im Klosterbereich wieder ankam, war es bereits halb sieben und ich nahm die vorletzte Bahn zurück zur Talstation.
Der Vergleich des neuen mit dem alten Transportmittel ließ mich schmunzeln:


Mittlerweile war es recht spät. Am Morgen hatte ich mich für das Abendessen angemeldet, und da dieses täglich von 19:30 – 20:30 Uhr angesetzt ist, bin ich schnurstraks nach Hause gedüst. Kurz vor der Ankunft traf ich dann noch diesen Gesellen. Gott sei Dank nahm er ordnungsgemäß den Fußgängerüberweg, so dass nichts passierte. Auch beim Vorbeifahren ließ sich das Persönchen nicht beirren:


Und nach all den überwältigenden Eindrücken, Erlebnissen und Erfahrungen schloss die Heimfahrt ab mit „To be continued“ von Stillhead: