BCN 03|18

Herbstanfang

Der Blick über die geschäftige Stadt (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Lesezeit: 6 min

Hatte ich eigentlich schon davon erzählt, dass irgendwer von den sehr beflissenen und freundlichen Angestellten in meinem Hostel selbständig mein beim Bestellprozess angegebenes Geschlecht (es gab nur zwei zur Auswahl, das scheint mir in heutiger Zeit deutlich zu wenig!) auf Grund meines Vornamens geändert hatte?

Diese fehlgeleitete Gutmeinen führte auf jeden Fall dazu, dass beim Check-in erst einmal eine Zimmer-Fehlbelegung korrigiert werden musste 😂😂😂. Einmal abgesehen davon, dass ich gar nicht nachvollziehen kann, wie soetwas passieren konnte, war das Problem schnell geklärt und ich erhielt ein probates Schlafabteil in einem Zehn-Bett-Zimmer.

So sieht das Zimmer vom Eingang aus:

Einblick in den Schlafraum (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Und ganz hinten, direkt neben dem Fenster liegt meine Koje:

„So lege er sich hin…“ (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Das klingt vordergründig viel schlimmer als gedacht. Erstens mag ich irgendwie diese Jugend-/Pilgerherbergs-Atmosphäre, zweitens komme ich bisweilen dadurch mit interessanten Leuten in Kontakt und drittens habe ich für den einen Schnarcher (direkt unter mir 🙄) schließlich wirksame Gehörschutz-Stopfen mit.

Allerdings wunderte ich mich dann schon, als in der ersten Nacht, ich war gerade schon im Schlummern begriffen, den Stimmen nach zu urteilen zwei junge Herren mit zwei ebenso jungen Damen das Zimmer betraten und sich offenbar gemeinsam das Nachtlager teilten.

„Ich habe mein Bett schön geschmückt mit bunten Teppichen aus Ägypten. Ich habe mein Lager mit Myrrhe, Aloe und Zimt besprengt. Komm, laß und buhlen bis an den Morgen und laß uns der Liebe pflegen.“ Spr 7:16‭-‬18

Da sie aber sehr leise waren und ihnen ihre katholische Erziehung Anzügliches verbot, sprach dieser Tatsache nichts entgegen.

Gestern Abend nun aber, oder besser: Heute früh um ein Uhr rammelte die ganze Baggage recht rücksichtslos laut und eine geschlagene Stunde lang mit teilweise sogar eingeschaltetem Deckenlicht (oder sollte ich von Deckenflutern sprechen?) im Zimmer herum. Vor allem die Damen taten sich dadurch hervor, dass sie ein Vollpflege-Programm absolvierten, welches seinen olfaktorisch bis an die französische Grenze wahrnehmbaren Höhepunkt in der Verwendung einer Klinikpackung Parfüm fand.

Bitte um freien Atem (Grafik: gemeinfrei)

Ich übte mich derweil in Gleichmut, hätte zwar gerne zusätzlich noch Geruchsschutzstopfen gehabt, beließ es aber bei einer stummen Verwarnung.

Heute morgen nun, beim Gang auf die Toilette, platzierte ich dann mit gehobener Augenbraue nur einen spitz formulierten Kommentar: „Apparently I’ve been informed incorrectly that this room should have been a mens-only accomodation.“ Dies zog bei meiner Rückkehr zum Bett den Versuch einer juvenil-aufgebrachten Machtbereichsbehauptung nach sich, die ich desinteressiert einsilbig quittierte mit: „I was just woundering…“. Nach dem Frühstück waren die Nachtlager der beiden Jungens inkl. aller Indizien weiblicher Anwesenheit spurlos verschwunden. Well, that went fast, didn’t it?!

Ansonsten stand der Tag ganz unter dem Banner der Culicidae:

Was für ein gemeines Tier (Grafik: gemeinfrei)

Die Mistviecher sind hier viel kleiner als unsere gemeine Hausmücke, dadurch kaum zu sehen, geschweige denn zu hören. Auch sind sie erblich flexibler in ihren Bewegungsmustern, was ein präventives Fangen verunmöglicht. Und sie scheinen entweder in viel größerer Anzahl aufzutreten oder deutlich hungriger zu sein. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich wurde heute vollkommen zerstochen. Warum heute erst und nicht gestern schon, weiß ich nicht. Warum heute so derbe, weiß ich auch nicht. Ich habe bei drei Dutzend Stichen aufgehört zu zählen. Gott sei Dank, irgendwie jedenfalls, ist das Reizverhalten ihres Speichels auch anders. Anfangs ist es viel schlimmer, läßt dann aber nach einer halben bis dreiviertel Stunde langsam nach und juckt auch nicht nach. Das ist grundsätzlich toll, soweit es mir gelungen wäre, weiteren Stichen auszuweichen. Da die berzigen Biester aber heute fast überall zu sein schienen, war das bis zum kühleren Abend leider nur ein frommer Wunschtraum.

Das doofe dabei: Neben mir sitzende oder stehende Leute waren nicht betroffen. Ob agiles Kind oder schwerfällige Alte, alle wurden (offensichtlich planmäßig! 😈) verschont, während ich dran glauben musste. Das ging so weit, dass ich mich auf gar nichts mehr konzentrieren konnte, meine Aufmerksamkeitsspanne auf Sekunden sank und ich mich nicht mehr imstande sag, mein Buch weiterzulesen. Die lähmende Hitze tat dann noch ihr Übriges. Eigentlich wollte ich nur ruhig am Pool liegen und lesen:

Die wasserwirtschaftliche Sportanlage im Backjard (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Irgendwann aber hielt ich es nicht mehr aus, setzte mich ins Auto fuhr einfach los. Neben dem Besuch des Klosters gibt es nämlich noch einen zweiten Quest, den ich mir für diesen Besuch vornahm: In einer meiner selbstinduzierten Reinkarnationssitzungen gab es eine Szene, bei der ich (bis jetzt) davon ausgehe, dass sie sich in Barcelona ereignet hat. Ich war zu irgendeiner Zeit des 150 Jahre dauernden Baus der Kathedrale („La Catedral de la Santa Creu i Santa Eulàlia“) u. a. ein Steinmetz, der an der Errichtung des Gotteshauses beteiligt war. Ich wohnte in einem Dorf westlich vom damaligen Stadtzentrum, unweit der Auen des El Llobregat. Und dort bin ich auch in einem markanten Grab nach meinem Tode begesetzt worden. Naja, und Ihr erratet’s schon, dieses Grab gilt es, zu finden. Ich nehm’s mal vorweg: Dieses Vorhaben war heute nicht von Erfolg gekrönt.

Dafür habe ich bei der Fahrt hinunter in die Stadt ein sagenhaftes Panorama genießen können:

Der breite Blick über die Stadt Barcelona (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Und ich ließ mich durch das verwirrende Netz aus Stadtstraßen, Landstraßen, Schnellstraßen, Autobahnen, Kreiseln, Abzweigen und Umleitungen Richtung Westen treiben.

Als erstes machte ich eine ausgedehnte Pause im Parc de Pedralbes, einer ummauerten und sehr gepflegten Anlage nahe der Polytechnischen Universität, innerhalb derer sich auch die ehemalige Residenz von König Alfonso XIII. befindet:

Ein wunderschöner Brunnen (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)
Das Hauptgebäude der Universität (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Ich wäre dort gerne länger verweilt, allein die Culicidae vereitelten auch hier dieses Vorhaben.

Nach ewigem Hin und Her landete ich schließlich auf der rechten Uferseite des El Llobregat in einem Konglomerat dieser undurchdringlichen, spanischen Neubausiedlungen. Immobilienblase, ick hör dir trapsen…

Und mitten drin, die „Còlonia Güell“, eine sehenswerte Arbeitersiedlung von der vorletzten Jahrhundertwende. Ein wie alle anderen Industriellen dieser Zeit gieriger, aber schlauer Mann, Eusebi Güell, ließ von Antonio Gaudí eine räumlich weitgehend isolierte Kombi aus Fabrik und Wohnsiedlung mit Geschäften, Schule und Theater bauen. Mit der Bereitstellung eines kontrollierbaren Lebensumfeldes für seine Arbeiter sicherte er sich deren Loyalität und war imstande, wie ein Übervater, Bürgermeister, Personalchef und Schulrat in Personalunion über die Seinen zu verfügen. Die Zeiten sind nun schon lange vorüber, die Architektur jedoch ist bis heute noch zu bestaunen, darunter die berühmte „Krypta von Gaudí“, eine nicht fertiggestellte Kirche aus der Feder des Architekten:

Außenansicht… (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)
…und Innenansicht des Gotteshauses (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)
Verzierte Fassaden… (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)
…und variantenreiche Anbauten (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Danach bin ich nach Hause mäandert, inklusive eines Umweges, weil meine eigentliche Serpentinenstraße wegen eines Unfalles vollgesperrt war.

Der Himmel war derweil von einer geschlossenen Wolkendecke verdunkelt, die so tief ging, dass ich auf dem Heimweg in den Bergen durch sie durchfuhr.