BCN 07|18

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Vor strahlendem Vollmond ’von hinten‘ der Tibodabo (roter Pfeil) und der prominente Fernsehturm, der Torre de Collserola (grün) (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Lesezeit: 7 min

So sieht übrigens das nächtliche Panorama bei meiner Unterkunft aus:

Heute morgen wurde erstmal umgezogen nach dem Frühstück. Dieses Hostel ist ja eine Non-Profit-Organisation, komplett barrierefrei ausgebaut, nachhaltig und ökologisch verantwortungsvoll bewirtschaftet und das Gros der Beschäftigten sind selber Menschen mit Behinderungen. Als Gäste sind hier eigentlich alle denkbaren Menschen anwesend, Schwerpunkt jüngere Leute. Heute nun kam eine große Gruppe Behinderter an und wir mussten ’leider‘ aus unserem Zimmer raus. Jetzt liegen wir zu zweit in einem Vier-Bett-Raum. 🙃

Stichwort interessante Bekanntschaften: Mein schnarchender Downside-Bettnachbar stellte sich als bayerisches Urgestein heraus. Er bedient eigentlich alle bekannten Klischees bis auf die traditionelle Kleidung. Sprache, Habitus und Erscheinung erinnern mich irgendwie an Franz Joseph Strauß (der Herrgott hab ihn selig!).

Danach bin ich wieder mit der S1 in die Stadt runter bis Pl. Catalunya:

Der S-Bahnhof unter dem zentralen Platz (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Die folgenden sechs Stunden habe ich mich wieder ein wenig durch die Stadt treiben lassen unter absichtsvoller Berührung mit ein paar ausgesuchten Sehenswürdigkeiten.

Erst stromerte ich ein wenig die Rambla hinunter. Dann bog ich westlich in eine Nebenstraße und kam in einer Viertel, das vor allem aus Handyläden, Halal-Fleischereien, Handyläden und Handyläden bestand. Daneben konnte der gemeine Tourist sich auch noch an Architektur erfreuen:

(Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)
(Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)
(Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)
(Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)
(Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)
(Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)
(Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)
(Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)
(Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Da ich schon Mal so ungefähr in der entsprechenden Richtung war, beschloss ich, den Weg hinauf zum Montjuïc nebst zugehöriger Festung anzutreten.

Auf dem Weg eine Spezialität für Kenner, die Ipomoea Tricolor in freier Wildbahn, auch bekannt als Himmelblaue Prunkwinde:

(Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Und hier sieht man fein, warum das Persönchen ’Prunkwinde‘ heißt:

Sich zu winden, kann auch etwas Erhebendes haben. (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Dann näherte ich mich der Festung, aber immer schön sutje, immerhin erhebt die sich 175 Meter über den direkt daneben liegenden Meeresspiegel. Und das erste, was einen da erwartet, sind historische Argumentationsverstärker größerer Bauart (für Fragen hinsichtlich des Typs, sowie Kaliber, Kadenz und Reichweite wenden sie sich bitte an das Militärhistorische Informationsbüro Leipzig, Herr Generaloberst a. D. Heinrich gibt Ihnen sicherlich gerne und ausführlich Auskunft).

(Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)
(Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)
(Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Dann schritt ich zur Meeresseite der Verteidigungsanlage, um abermals ein schönes Wimmelbild zu fertigen:

Der Hafen von Barcelona (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Und dann nahm ich mir tatsächlich die Zeit, in aller Herrgottsruhe die gesamte Anlage abzuschreiten, alle Ausstellungen zu besuchen, das Museum zu besichtigen und das Aufgenommene auf mich wirken zu lassen. Da ich technisch gesehen eine gewisse Affinität zum Thema Konfliktverhütung und Krisenreaktion (Achtung: Neusprech!) mit in dieses Leben hineingebracht habe, bleibt es nicht aus, dass die hier aufgenommenen Informationen auf keinen leeren Assoziationsraum trafen, sondern automatisch mit Bekanntem abgeglichen und in das eigene Verständnissystem einsortiert wurden.

Konkret bezogen auf den Ort der Festung folgende zusammengefasste Überlegungen:

  1. Es hat schon immer eine Asymmetrie zwischen Menschen gegeben. Die, die sich dazu berufen fühlten, haben die Gelegenheit stets wahrgenommen, Macht zu erringen, um zu herrschen.
  2. Regelmäßig haben die Mächtigen ihren Spielraum dabei überspannt, so dass aus den Beherrschten in Bewusstwerdung ihrer Machtlosigkeit Ohnmächtige wurden.
  3. Die, welche die Ohnmacht nicht hinzunehmen bereit waren, weil die vorzufindenden Gegebenheiten in ihrem Verständnis himmelschreiende Ungerechtigkeit darstellten, lehnten sich auf.
  4. Die ’guten Herrscher‘ begegneten dieser anmaßenden Infragestellung vor dem Hintergrund ihrer eigenen Rechtmäßigkeitswahrnehmung immer mit ignoranter Repression.
  5. Die dabei in Kraft gesetzten Maßnahmen drehten die Konfrontationsschraube in den meisten Fällen so fest, dass ein Punkt überschritten wurde, wo Deeskalation noch hätte funktionieren können.
  6. Je nachdem, welche Seite als ’Sieger‘ daraus hervorging, ließ die Repression (zunächst) nach oder wurde perpetuiert, was dann den o. g. Prozess erneuerte.

Da Ergebnis sieht in einem historischen Holzstich dann so aus:

Die Erstürmung der Stadt im September 1714 nach der einjährigen Belagerung (Holzstich, gemeinfrei)

Barcelona im Speziellen und Katalonien im Allgemeinen ist ein hervorragendes Beispiel für eine Region, die von allen Seiten immer wiederkehrender Repression ausgesetzt war. Ob Römer, Westgoten, Mauren, Franken, bis zum Ende des Mittelalters mussten sich die ortsansässigen Bewohner immer wieder mit Fremdherrschafft auseinandersetzen, was ihnen ihre sprichwörtliche Zähigkeit einbrachte und ein nationales Zusammengehörigkeitsgefühl gebar. Nach dem Spanischen Erbfolgekrieg und unter Napoleons Herrschaft (wer in Gottes Namen feiert eigentlich diesen desaströsen, europäischen Kriegsherrn???) wurde ihnen erneut ihre Unabhängigkeit genommen. Während der zweiten spanischen Republik verloren sie die gerade errungene Autonomie schon wieder. Auch ihr geschichtliches Verdienst, die einzige geglückte europäisch-anarchistische Revolution auf ihr Konto verbuchen zu können, währte nicht lange. Die von 1939–1977 (sic!) andauernde Franco -Diktatur unterband jegliche katalonischen Autonomiebestrebungen konsequent. Und wenn Katalonien im heutigen spanischen Staat eine formale Sonderstellung innehat, so spricht doch die faktische Politik aus Madrid eine deutlich andere Sprache. Eindrucksvoll kann man die stummen Meinungsbekundungen vieler, vieler Katalonen in Form von Flaggen an Wohnungsfenstern und vor Geschäften, die gelben Bänder an Straßenlaternen und Verkehrsschildern, sowie die offen getragenen, gelben Reversschleifen sehen.

Mit diesen Gedanken und ihren Entsprechungen in anderen Regionen der Welt verließ ich diesen denkwürdigen Ort und mäanderte wieder hinunter in die Stadt, vorbei an vielem Sehenswerten:

(Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)
(Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)
(Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Und damit beginnt auch schon, es ist jetzt schon nach Mitternacht, der letzte Tag dieser bisher vielfältigen, spannenden, schönen und lehrreichen Reise.