Die Frucht des Fluchens

„Himmel, Arsch und Wolkenbruch!“ – „Shut the fuckup!“ – „Merde!“ – „Jebiga!“

Symbolbild Fluchen, Sarah A. Besic, CC BY-NC-SA 4.0
Im Sturm der Entrüstung – Fluchen in der Symbolik der Comic-Kultur (Sarah A. Besic, CC BY-NC-SA 4.0)

Ob es die derbe Anrufung der transzendenten Mächte, die sexuell untermalte Aufforderung zum einstweiligen Schweigen, die fäkale Äußerung von Unmut oder die genitale Relativierung der vermeintlich wichtigen Dinge ist, allen eingangs genannten, multinational beliehenen Flüche ist eines gemeinsam: Sie umgehen die menschheitsgeschichtlich quasi erst kürzlich erworbene Fähigkeit zu komplexer Kognition und damit all jene Errungenschaften von Anstand, Taktgefühl, Rücksichtnahme und Benehmen, mit denen wir gemeinhin das nur vage eingrenzbare Phänomen „Zivilisiertheit“ verbinden.

Es soll hier aber weder um sprachwissenschaftliche Feinheiten oder gar sozialwissenschaftliche Analysen gehen. Die objektive Perspektive sei im Folgenden lediglich das unausblendbare Hintergrundrauschen bei einer Betrachtung eines Themenkreises, der dem gegenüber viel deutlicher archaischer Subjektivität entspringt.

Wie bei jeder Form von Kommunikation ist dem Prozess des Fluchens immer jeweils ein Sender wie auch ein Empfänger inhärent. Während aber ein affektives Moment die Entstehungsgeschichte dieser Informationsübermittlung bestimmt, ist der – reale oder virtuelle – Zielpunkt ungefragtes Opfer einer bestenfalls ignoranten Zuwendung. Eher jedoch zeitigt die unbewusste Verbalgewalt Verletzung.

Dies ist um so erstaunlicher, als dass in vielen Fällen der Sender sich konkludent selber die Injurie rezeptfrei verschreibt.

Sprache als zwischenmenschliche ’power projection‘ ist zwar keine Ausnahmeerscheinung, aber selten wird die emotionale Energie einer nicht-kinetischen, menschlichen Äußerung so pur und konstrastreich sichtbar wie beim Fluchen.

Und genau hier setzt die Fragestellung an, deren Spannweite zum Explorieren einladen soll: Welchem der zwei polaren Güter ist in direkter Abwägung ein höheres Gewicht zuzuschreiben, der heilsamen Entladung unausgelebter und daher angestauter Gefühle oder der rücksichtsvollen Prävention von sich unabsehbar ausbreitenden Folgen einer solch im wahrsten Sinne des Wortes hemmungslosen Entfesselung?

Kurzer, kraftvoller Ausbruch oder pietistische Zurückhaltung?

Eines gleich voraus: Eine wie auch immer geartete, Verhaltensanleitung soll und kann nicht Ergebnis dieses Befassens sein. Am Ende muss sich jeder die Antwort selber geben – zumal in solchen soziokulturellen Kontexten, wo die freundschaftliche Begegnungsebene geläufigerweise durchsetzt ist mit scheltenden oder lästernden Bezeugungen. Nichts desto trotz kann der Versuch unternommen werden, eine verbindliche Empfehlung zu finden.

Was ist die Intention, das Fluchen an sich überhaupt zu beleuchten?

Einfach gesagt, ist es interessant zu erfahren, welche Begleiterscheinungen mit dem Fluchen einhergehen – sowohl in seiner Entstehung, als auch in seinen Folgen.

Der Typus des gesprochenen Ausdrucks, um den es hier gehen soll, ist dabei ausdrücklich die Beschimpfung, der verbale Zornesausbruch und die derbe Ansprache. Nicht betrachtet werden sollen hier jene gravierenden Maßnahmen, die besonders in prätraditionellen, magisch-mytischen Gemeinschaften meist rituell ausgeführt wurden. Aus der Position des vermeintlich ohnmächtigen Ausgeliefertseins wurden dort unter Anrufung transzendenter Mächte wahlweise Personen, Besitztümer oder Orte mit Unheil überzogen.

Und obwohl zwischen beiden Ausprägungen, dem Geplänkel und der Rachevollstreckung, der Unterschied augenscheinlich ist – hier eine existenzielle Bedrohung, dort ein Verstoß gegen Umgangsformen – kann doch eine scharfe Trennung nicht vorgenommen werden. Auch eine zeitliche Abfolge der Entstehung sowohl des Einen wie auch des Anderen ist nicht eindeutig nachzuvollziehen.

Beiden Formen der Interaktion ist dagegen eines gemeinsam: Betrachtet man ihre jeweilige Bewertung aus dem evolutionären Kontext heraus, so kann ihnen eine deutliche Übergriffigkeit unterstellt werden, die sich im einen Falle negativ auf den Empfänger auswirkt, im anderen den Sender im schlechten Licht erscheinen lässt. Trotzdem leidet auch bei Zweiterem der Adressat, weil er sich einer willkürlichen Härte ausgeliefert sieht.

Was soll nachteilig daran sein, der eigen Wut Raum zu geben?

Ausgehend von der standardmäßigen Punkt-zu-Punkt-Kommunikation kann festgestellt werden, dass Fluchen einen starken konfrontativen Charakter hat. Selbst oder vielleicht gerade im Falle einer konsensuellen Übereinkunft zu rüden Umgangsformen werden Empathie und Wertschätzung vollständig ausgeklammert, da als Basis die Bereitschaft oder sogar möglicherweise die Fähigkeit fehlt, die Gefühle, die Gedanken und den situativen Kontext des Anderen und damit dessen Bedürfnisse wahrzunehmen. Umgekehrt attestiert sich der Aussprechende selber die Unfähigkeit, angemessen mit (Binnen-)Konflikten umzugehen. Er überspielt Selbige oder gibt ihnen hilflos Ausdruck in Form von Wut und Zorn.

Anstatt aufkommenden Unmut konstruktiv auszusprechen, staut sich Frustration an, die zur Verurteilung Anderer oder der Leugnung der eigenen Verantwortung in Form einer spontanen Entladung führt. Meistens werden darüber hinaus Objekt- und Beziehungsebene unheilsam vermischt, und unausgesprochene Erwartungen als selbstverständlich vorausgesetzt.

Es kristallisiert sich also bei näherer Betrachtung heraus, dass das Fluchen als befreiender Akt an sich durchaus nutzbringend ist, da er auf ziemlich archaische Art und Weise und deshalb biologisch optimiert, eine auftretende, destruktive Spannung schnell und einfach abbaut.

In der Genese bis zu diesem Moment jedoch haben bereits vielfach Mechanismen versagt, die unabhängig vom sozialen Umfeld, der Bildung oder sonstigen, determinierenden Faktoren dafür hätten sorgen können, dass es gar nicht erst zu einem Ausbruch kommen muss.

Zusammengefasst kann man die vielfältigen Handlungsoptionen zur Verhinderung eines inneren Drucks unter dem Begriff „Achtsamkeit“ benennen. Schaut man stets kritisch, doch wertungslos auf das eigene Handeln und v. a. Denken, folgt man sich entfaltenden Ent- und Verwickungen zu ihrer Quelle, so wird man schnell feststellen, dass dem Aufbrausen immer eine Geschichte vorausgeht, deren Regisseur und Hauptdarsteller man selber ist. Und auch wenn (scheinbar) das Drehbuch dazu mehrheitlich aus fremder Feder stammt, so ist doch die eigene Haltung und Anschauung entscheidend für den weiteren Verlauf der Handlung. Ob aus der tragischen, beengenden oder beängstigenden Gegebenheit ein Drama wird, entscheiden wir alle letztendlich persönlich.

Liebevolle Zuwendung (auch zu sich selber!), Gelassenheit und Gleichmut sind nur schwerlich als Ausgangspunkt für Rüpelhaftigkeit, Beschimpfungen oder Gezeter denkbar.

Deshalb macht es auch keinen Sinn, auf die oben gestellte Frage eine direkte Antwort zu geben. Sicherlich ist es bisweilen heilsam, sich durch eine verbale Eruption zu erleichtern. Besonders dann, wenn andere Mittel nur schwer greifbar sind. Sollte ein entsprechendes Verhalten jedoch seriellen Charakter annehmen, wäre es an der Zeit, Ursachen zu ergründen und das Vorsorge-Instrumentarium zu erlernen und anzuwenden.

Dem unbesonnenen, flapsig-groben Umgang hingegen sei mit entschiedener Freundlichkeit und Einfühlsamkeit zu begegnen, da auch dessen tragender Ungeist eher trennt als zu verbinden.