Urheberrecht, ich will Dir fressen

Wie die informationelle Zukunft zum Spielball von Partikularinteressen wird

Das 1958 vom Schimpansen „Congo“ gemalte Bild ist nicht Gegenstand der Urheberrechtsdebatte, da per definitionem gemeinfrei

Der gestrige Tag bot einen weiteren Höhepunkt in der multidimensionalen Urheberrechtsdebatte. Nur scheinbar bewegt sich die Meinungsbildung auf einer polarisierenden Linie zwischen „Abschaffen“ und „X-Strikes“.

Einen guten, weil ausgewogenen und konstruktiven Überblick bietet der SPIEGEL ONLINE-Artikel von Thomas Darnstädt:

http://j.mp/LE6vEk

Die Piratenpartei hat einen 10-Punkte-Plan herausgebracht (Website):

http://bit.ly/KETLvI

Ebenso bezieht die SPD mit einem Thesenpapier Stellung (PDF):

http://bit.ly/KrySk8

Der CDU hingegen droht die Zerreissprobe zwischen einer gemäßigten Richtung:

http://www.faires-urheberrecht.de/

und den Hardlinern:

http://bit.ly/w5b23B

Die FDP hängt eher einer restriktiveren Richtung an:

http://bit.ly/JayWTT

Nachtrag (29.05.2012): Auch die Linksfraktion äußert sich:

http://j.mp/Js0Har

Das Dilemma bei diesem teils leidenschaftlich und emotionalisiert geführten Diskurs ist die Spannweite zwischen lobbyistisch angefixten Politikern, der argusaugenbestallten Verwerterechts-Gralshüter, einer scheinbar übermächtigen und dennoch impotenten Bereitstellung- und Verkaufsindustrie, wahlweise monopolistischen Kultur-Autokraten oder larmoyanten, weil marginalisierten Werkschaffenden und anarchistisch-utopischer Egalisierungs-Geeks.

Und mitten drin in dem Schlammassel wabert eine inhomogene Masse von potentiellen und tatsächlichen Kosumenten, denen nur ihr Anspruch an die Nutzung der Kulturgüter gemeinsam ist.

Dabei scheint der Ausgangspunkt des Streits die Tatsache zu sein, dass die bestehenden Rechtsnormen zur Thematik auf Grund der in den letzten beiden Jahrzehnten galoppierend sich verändert habenden Faktizitäten der Realität nicht mehr gewachsen sind.

Während vorher entsprechende Anpassungen in weitreichenden Zeiträumen sich an technischen Neuerungen orientierten, deren Tragweite lediglich einer Adaption des Vorhandenen folgten, hat das Internet im Gegensatz dazu die bisher nicht verhandelbaren Fundamente aus ihrer Verankerung gerissen, da es nicht ein weiteres in einer Reihe existenter Medien darstellt, sondern infrastrukturell und inhaltlich eine neue Qualität der zwischenmenschlichen Kommunikation, des Umgangs miteinander, des Zugriffs auf Wissen und der Geschwindigkeit des Tuns eröffnet, deren Folgen zum heutigen Zeitpunkt noch von niemandem abzusehen sind.

Insofern wäre auch hier von den Köpfen der poltischen Selbstverwaltung Weitsicht und Fingerspitzengefühl gefragt. Anstatt solch wirkmächtige Entscheidungsfindungen dem parteipolitischen Kalkül (mit seinen Höchsthaltbarkeitszeiten von einer Legislaturperiode) zu unterwerfen, hätte ein transparenter, vernunftgesteuerter und alle Beteiligten einbeziehender Prozess initiiert werden müssen, der im Verlauf seines Fortschreitens mit multiperspektivisch-folgenabschätzendem Sachverstand hätte moderiert werden müssen.

Worum geht es denn eigentlich?

Es geht um

  • geistiges Eigentum an sich (Proklamation, Akzeptanz, Schutzwürdigkeit),
  • um den Interessenausgleich zwischen Urhebern, Verwertern und Nutzern (Rechte, Pflichten, Handlungstransparenz, Zukunftsfähigkeit, siehe hier),
  • die Wahrnehmung und Durchsetzbarkeit von Rechtsnormen (Geltungsbereich, Maßnahmen, Ausführende, Transparenz und Kontrolle),
  • es geht um die Erlös- und Bereitstellungsmodelle im Verlauf einer (möglichen) Wertschöpfungskette,
  • Archivierung, Schutzfristen und Weiter-/Zweit-Nutzung, besonders im Rahmen von Wissenschaft und Bildung.

Und eigentlich müsste man sorgfältig die einzelnen Fragen in ihrer Auftretens- und Abhängigkeitsgenese der Reihe nach aushandeln. Denn es kann z. B. nur dann über Maßnahmen der Rechtsdurchsetzung gesprochen werden, wenn man sich bereits geeinigt hat auf die Antworten der Grundfrage, ob geistiges Eigentum überhaupt schutzwürdig ist.

Leider sehen fast alle Seiten ihre ureigenste Aufgabe darin, ihre bereits erworbenen bzw. ergaunerten Besitzstände neidisch zu wahren, was im Zuge der Diskussion zu immer unvereinbarer werdenden Standpunkten führt. Destruktive Maßnahmen wie das Veröffentlichen von Appellanten-Adressen sind dabei genauso schädlich wie die strikte Verweigerungshaltung der kollektiven Rechtwahrnehmer.

Ein wenig erinnert mich die Streit(un)kultur bei dieser Thematik an die Tagungen der Sternensystem-Föderation des Expanded Universe von Star Wars. Während machtgewaltige Player im Vorder- und Hintergrund wahlweise versuchen, den Status Quo beizubehalten bzw. der Förderation ein völlig neues Gesicht geben wollen, palavert die Vollversammlung folgenlos aber hingebungsvoll über Detailfragen in irrelevanter Systematik. Bis es schließlich zum Erlass real-historisch nicht unbekannter Notstandsvollmachten kommt, die in fast niemandes Interesse waren. Am allerwenigsten derjenigen, die darunter schließlich zu leiden haben.

p. s.: Ach so, und bevor ich es vergesse: Zwar nehme ich hie und da als Daseinsform Mensch die Funktion des Konsumenten war, der erworbene Produkte als User nutzt. Nichtsdestotrotz möchte ich bitte vorurteilsfrei von unserem politischen Etablissement als Bürger (im franz. Sinne von citoyen) betrachtet, ernstgenommen und einbezogen werden.