Appellativ, zerstoben, unbequem, herausfordernd

Die zweite Aufführung Hans Werner Henzes dritter Festmusik „An den Wind“ zum Pfingstgottesdienst in der Thomaskirche zu Leipzig

Pfingsten, nach einer Abbildung aus dem Rabbula-Evangeliar
Pfingsten, entfremdet nach einer Abbildung aus dem Rabbula-Evangeliar

1. Schmerz
Die wohlen Klänge von des gefeiertem Kantors hilfsbereitem Geist hängen noch zwischen den Achtkant-Säulen des Kirchenhauses, die Gemeinde hat gerade eben der aramäischen Emanation des universalen Prinzips Lob bezeugt, als auch schon die Gehörgänge zu spät gewahr werden, dass eine Schall-Phalanx sich unaufhaltsam in harmoniegewohnte und unvorbereitete Hirnareale des repräsentationalen Selbst hineinbohrt.

2. Ablehung
Spätestens einem bekannten Wiener Musikanten ist es geschuldet, dass der moderne, gebildete Mensch objektiv zwischen dem Schlecht- (griech. kakós) und dem Zwölf- (griech. dodeka) Stimmigen zu unterscheiden vermag. Allein, die Natur der Emotion findet noch heute keinen unerklärten Zugang. Mag es nun an der Komplexität des Dargebotenen oder am unterstellten Unwillen des Rezipienten liegen, zweifelsohne ist die Harmonie als ein bestimmendes Prinzip im Sein anzunehmen. Sie zu durchbrechen erfordert durchgängig Mutwillen seitens des Schöpfers und immer die volle Aufmerksamkeit seitens des Hörers. Bettet sich das Werk in ein traditionelles Werte- und Handlungssystem ein, sprengt es Selbiges verlässlich solange, bis es als maniriert entlarvt wird.

3. Belustigung
„Kraweel“ und „Hurz“ im Hinterkopf, wird die verLAUTbarte Unstruktur durch Assoziation mit ironischen Genre-Zitaten erträglich. Der schlichte Geist sucht nach Halt, das tumbe Grinsen quittiert dessen Findung. Der unheilige Krach im heiligen Haus bleibt unverändert bestehen, seine Konnotation erfährt Milde durch Relativierung und Aufpolieren der intersubjektiven Anspruchsfassade.

4. Hoffnung
In der Chronologie der gemeindlichen Abläufe kann, Gott sein Dank, auch einem modernen Schallwerk nur beschränkt Raum eingeräumt werden. Der Glanz am Tellerrand, über den es hinauszublicken gegolten hätte, wird fälschlicherweise als Silberstreif am Horizont interpretiert. Erwartung und Freude sind somit Produkte eines mehrdimensionalen, deskriptiven Stolzes: Dabeigewesen zu sein, es ausgehalten zu haben und sich äußern zu können. Teilhabe sieht anders aus.

5. Auflösung
Auf den Stufen vor dem Eingang stehend, das Geschehene archiviert sich bereits in die Reihe sagenhafter Erlebnisse, findet sich für das gesteuerte Misstönen keine Entsprechung in der offenbaren Evolution als die, dass es allzu gewagten Mutationen mitunter an Durchsetzungskraft fehlt. Amüsante Diversität verbreiten sie allemal.