Paranza – Der Clan der Kinder

Filmkritik zur Sneak Preview eines italienischen Bestseller-Romans

Filmszene aus „Paranza – Der Clan der Kinder“
Abb.: Filmszene aus „Paranza – Der Clan der Kinder“ (Palomar S.p.A., alle Rechte vorbehalten)

Eines vorweg: Ich habe das dem Film zu Grunde liegende Buch von Roberto Saviano1nicht gelesen. Insofern brachte ich bestenfalls keine hochgesteckten Erwartung an eine angemessene Umsetzung eines literarischen Stoffes mit, sondern konnte mich der Filmvorführung offen hingeben.

Schwieriger wurde dieses Unterfangen jedoch dadurch, dass der Film auf der diesjährigen Berlinale den Silbernen Bären für das beste Drehbuch bekam. Eine solche Auszeichnung, die das gemeinsame Werk des Buchautos und des Regisseurs (Claudio Giovannesi) honoriert, legt naturgemäß die Latte für den Zuschauer recht hoch. Erschwerend kam hinzu, dass der Themenkreis ’Mafia‘, um den der Plot gestrickt ist, ganz und gar nicht zu meinen bevorzugten Interessengebieten zählt.

Brennpunkt Neapel

Genretechnisch kann der abendfüllende Spielfilm (it. Originaltitel: „La paranza dei bambini“) einerseits zu den Kriminalfilmen gezählt werden, ist aber auf Grund seines inhaltlichen Verlaufes auch als Drama anzusehen. Die Storyline zieht sich entlang der Erlebnisse einer Gruppe Jugendlicher im Neapel der Jetztzeit und ist in einem Brennpunkt-Milieu zwischen latenter Armut, Bildungsferne, archaischen Lokal-Machtgefügen, gewalttätiger Konfliktaustragung, Geltungsdrang, hoher Risikobereitschaft und naiver Unbekümmertheit angesiedelt. Der Film nähert sich diesem gesellschaftlichen Teilbereich dabei nicht sachte und Stück für Stück, sondern etabliert eine Erzählperspektive, die ihm scheinbar selbstverständlich entspringt und ihn gleichzeitig vor den Augen des Publikums entstehen lässt. Dieser dramaturgische Kniff gewährleistet von Anfang an eine hohe Aktionsdynamik, welche durch einen häufigen Einsatz der wackeligen Handkamera im Bild unterstrichen wird.

Deutscher Trailer des Filmes

In 110 kurzweiligen Minuten werden Schlag auf Schlag authentisch wirkende Lebensrealitäten angerissen, deren Berührpunkte die Knoten im Netz der Handlung darstellen. Der Zuschauer wird dabei immer wieder in Bilder gestellt, deren brachiale Emotionalität bestenfalls Staunen, eher aber Fassungslosigkeit hinterlässt. Diese eigentlich kraftvolle Dramaturgie ist aber gleichzeitig die nachteilige Kehrseite der Medaille: Im Anspruch, eine so komplexe Sozialstruktur mit unterschiedlichen Charakteren in etwas über anderthalb Stunden auf die Leinwand bringen zu wollen, überfordert sich der Film und wirkt streckenweise hölzern.

„Kein 15-Jähriger, der kriminell wird, ist allein Schuld daran.“

Roberto Saviano über die Situation der Jugendlichen in seinem Roman

Die überwiegend jungen Darsteller spielen lebensnah und frisch, allerdings kam mir die Vermutung auf, dass die deutsche Synchronisation den süditalienischen Sprachhabitus nur mangelhaft wiedergibt und somit die parzivalhafte Schnodderigkeit der Nachwuchs-Machos nicht überzeugend intoniert. Offene und offensichtliche Fragen blieben des Öfteren unbeantwortet, während demgegenüber unerwartete Einblicke in die seelische Verfassung einzelner Protagonisten Sympathie und Verständnis hervorriefen.

Kamera und Montage

Die überwiegend im Closeup eingestellte Kamera unterstützt diese persönliche Nähe und wagt sich nur dann zu einem Full Shot oder einer Halbtotalen hinaus, wenn der größere räumliche Kontext das individuelle Zerrissen- und Verlorensein wiederspiegeln soll. Die in rasanten Motorradfahrten festgehaltenen Flucht-, Verfolgungs- und Spaßtouren durch das labyrinthartige Straßennetz der chaotischen Großstadt, wechselweise in einer verfolgenden oder vorangehenden Blickachse, können dabei ebenfalls als Metapher für die wilde, innere Suche nach Orientierung, Zugehörigkeit und Sinn angesehen werden. Vor dem Hintergrund der schnellen Bilderflut verliert sich der Soundtrack fast gänzlich, obwohl die einzelnen Stücke die jeweiligen Situationen grundsätzlich gut unterstützen.

Fazit

Alles in Allem ist „Paranza – Der Clan der Kinder“ ein sehenswerter Film, mit wahrnehmbaren Schwächen zwar, aber als eine ausschnittartige Sozialstudie unterhaltsam. Er ist ein flackerndes Schlaglicht auf eine fremde und doch so nahe Welt.

Meine Wertung: 7/10
Filmstart: 22. August 2019
IMDB: https://www.imdb.com/title/tt8740778/

  1. Saviano, Roberto: Der Clan der Kinder: Roman. Übersetzt von Annette Kopetzki. München: Carl Hanser Verlag, 2018. Hardcover (ISBN 978-3-446-25821-1), 24,– EUR, https://amzn.to/2Tq2jxH bzw. Taschenbuch (ISBN 978-3-423-14712-5), 12,90 EUR, https://amzn.to/2TrDEJh