Un oggi è meglio di dieci domani.
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Is’ bezahlt, muss jetzt auch gegessen werden. Was macht man mit einem Jahresticket in einer Woche? Richtig, man nutzt es aus! Aber abgesehen von diesem sehr vulgär-ökonomischen Impuls, trieb mich die Neugier und Freude immer wieder auf die circa zweiundachtzig Hektar große Fläche der antiken Stadt Pompeji. Nachdem ich mir beim ersten Besuch neben einigen, markanten Hightlights vor allem einen groben Überblick verschafft hatte, war mein Ansinnen im Weiteren vor allem, in den Geist dieser verschütteten Stadt und seiner ehemaligen Bewohner einzutauchen.
Selbiges fällt bei einem dermaßen gut erhaltenen Freiluftmuseum naturgemäß nicht schwer. Es bedarf daher nur noch weniger zusätzlicher, begünstigender Voraussetzungen, um dieses Vorhaben in die Realität umzusetzen, als da wären:
- innere Muße, um eine geschärfte Wahrnehmung zur Entfaltung zu bringen,
- stete Achtsamkeit, um sich nicht von Offensichtlichem gegenüber Verstecktem ablenken zu lassen,
- innere Stille, um sich von dem Wahrgenommenen durchdringen zu lassen und dessen Resonanz zu erspüren,
Geübte Sehenswürdigkeiten-Jäger würden vielleicht noch hinzufügen:
- eine gute Kamera, um die in den Kopf gesetzen Erlebnis-Lesezeichen optisch zu unterstützen,
- relative äußere Ruhe, um die Entstehung der inwändigen Welt geringstmöglich zu stören.
Die Gewährleistung der ersten drei Bedingungen obliegt, wie man unschwer erkennen kann, mehr oder weniger ausschließlich dem Willen und der Fähigkeit des Gastes der jeweiligen Sehenswürdigkeiten selber. Es ist die Haltung der entspannten Offenheit und des vorbehaltlosen Sich-Einlassens, zuzüglich einer Prise Fokussierung, welche das Fundament dieser drei Besichtigungs-Tugenden ausmachen.
Die letzteren zwei erwähnten Faktoren sind in meinen Augen jedoch deutlich großzügiger auslegbar. Nachdem ich vor Jahren bei einer meiner Rom-Reisen das Experiment wagte, meine professionelle Foto-Ausrüstung zum Einsatz zu bringen, darf ich demgegenüber nunmehr erleichtert feststellen, dass der für meine diesbezüglichen Zwecke hinreichende Qualitätsanspruch inzwischen ganz souverän von den Fähigkeiten einer moderner Smartphone-Kamera abgebildet wird. Das erspart die Luftverlastung der ins Gewicht fallenden, technischen Ausrüstug einerseits, ermöglicht unvermittelteres Bannen von auch flüchtigen Motiven andererseits.
Die äußere Ruhe empfand ich hingegen als weniger notwendig. Im Gegenteil konnten die umherlaufenden Menschen als kostenlose Protagonisten und Komparsen eines inneren Fimes verstanden werden.
Und das stellte sich an meinen folgenden Besuchstagen, aber insbesondere am ersten Advent als besonders hilfreich heraus, weil nämlich der jeweils erste Sonntag eines Monats jedem und jeder freien Eintritt auf das archäologische Gelände gewährt. Im Sommer gilt diese Regel zwar auch, wird aber aus dem Grunde praktischer Kapazitätsgrenzen so begrenzt, dass nie mehr als 15.000 Menschen die Ruinen durchstreifen1.
Sprich: Speziell am Advents-Sonntag rekrutierte sich das Besucherpublikum, im Gegensatz zu den anderen Tagen, zum überwiegenden Teil aus italienischen Familien mit Kindern, die von Nah und Fern angereist waren, um die Wirkungsstätte ihrer fernen Vorfahren zu bestaunen. Die paar ausländischen Touristen fielen dabei fast gar nicht mehr ins Gewicht.
Ich bin also im Wesentlichen ohne einen Plan in der Hand den Straßenverläufen und Gassen, dem Menschenstrom und meinem eigenen Gusto gefolgt; habe hier und da Pausen der Verweilens eingelegt, das vorbeiziehende Volk beobachtet, mich in die räumlichen Gegebenheiten der jeweiligen Gebäude vertieft und einerseits deren Anlage und Funktion auf mich wirken lassen, andererseits die konkrete Ausgestaltung bewundert.
Die Struktur der Stadt
Zur Erklärung sei angefügt, dass das gesamte Gelände in drei „Erkundungsebenen“ strukturiert wurde, die im Wesentlichen den tatsächlichen, räumlichen Gegebenheiten entsprechen. Dazu kann es interessant und hilfreich sein, sich anhand der sehr schön ausgearbeiteten, aktuellen Lagekarte zu orientieren.
Das gesamte Gelände ist zuerst einmal in neun Regionen eingeteilt, was überwiegend der historischen, städtebaulichen Zerteilung durch die größeren Straßen folgt. Beginnend mit dem zentral südlich gelegenen Bereich „I“ geht es gegen den Uhrzeigersinn einmal komplett rundherum bis Bereich „VIII“, die Mitte bildet den Bereich „IX“ ab (welcher größtenteils bisher unerschlossen ist). Weitere Bereiche, wie die Nekropolen oder Parkanlage sind diesbezüglich nicht eingeschlossen.
Die nächst detailliertere Ebene sind die sog. „Insulae“ (von lat. insula, die Insel), was unserem heutigen Häuserblock entspricht. Dieser teilt sich auf Grund der kleineren, dazwischenliegenden Straßen.
Schließlich beinhaltet ein einzelner Häuserblock zusammenhängende Einheiten. Man kann diese nach verschiedenen Kriterien unterscheiden, z. B. nach ihrer Nutzung (Wohnhaus, Werkstatt, Laden, Taverne,…), nach ihrem Besitzer, nach der Art der Bebauung, usw. usf.
Wichtigen, zusammenhängenden Baueinheiten wurden in der Neuzeit Namen gegeben. Diese entsprechen (vermutlich) nicht der historischen Realität, da diesbezügliche Katasterdaten (ja, soetwas gab’s auch schon bei den ollen Römern!) nicht mehr vorhanden sind, weil sie, wie vieles andere ebenfalls während der Eruption des Vesuvs am 24. August 79 n. u. Z. im pyroklastischen Strom bei knapp 500° C schlichtweg verdampft sind. So waren die verantwortlichen Archäologen höchst kreativ und bezogen sich in der Neu-Benennung stattdessen auf einen wichtigen Aspekt des Gebäudes, wie beispielsweise den tatsächlich nachvollziehbaren Namen des Besitzers oder der Besitzerin bzw. der Besitzer-Familie, die offensichtliche Hauptnutzung (Wäscherei, Bäckerei, Taverne,…) oder signifikante Innenaustattungs-Details (Wandmalereien, Statuen, Mosaike, Garten-Accessoires,…).
Eine Annäherung
Wie aus dieser Informations-Vielfalt hervorgeht, kann man sich dieser geradezu ausufernden, sichtbaren Vergangenheit nun unter unterschiedlichen Aspekten nähern2.
Da ich vor meiner Reise außer der weit zurückliegenden und daher diesbezüglich äußerst lückenhaften Schulbildungs-Information und ein paar aktuellen Wikipedia-Recherchen, sowie dem Fundus der Bilder des Instagram-Accounts der Archäologischen Anlage keinen weitergehenden Wissensfundus vorhielt, bin ich also wiederum nach Gefühl und Wellenschlag durch die Gassen geschlendert und habe mich von dem Gesehenen einfach nur berauschen und inspirieren lassen. Im Folgenden fasse ich die bildlichen Zeugnisse, welche örtlich zum Teil weit auseinanderliegen, verschiedener Themenbereiche zusammen.
Angetan hat es mir die endlose Menge an hervorragend erhaltenen Fresken, also den wundervollen Waldmalereien, die direkt auf den Kalkputz aufgetragen wurden. Dies geschah damals mit farbechten Pigmenten, weshalb sie auch nach 2.000 Jahren noch so gut erhalten sind.
Weiterhin interessant war auch, dass die uns allen bekannten Säulen durchaus nicht immer vollständig aus Marmor gerfertigt waren, sondern einen Backsteinkern besaßen, der nur mit Marmor verkleidet war.
Essen und Trinken
Unglaublich lebensnah kamen die variantenreich auftretenden Theken von meist kleinen Tavernen daher. Steht man davor, möchte man gleich bestellen. Und was bestellt man dann? Zuvorderst natürlich Wein, sozusagen das flüssige Grundnahrungsmittel. Anders als unser heutiges Konsumgut Wein gruppierte sich eine vielgestaltige, eigene Kultur um den Wein. Angefangen damit, dass es in der römischen Antike einen eigenen Gott, Bacchus, gab, der nur für den Wein verantwortlich war und verehrt wurde. Entsprechend war die Herstellung von Wein nicht nur ein handwerklicher Prozess, der viel Erfahrung erforderte, sondern insgesamt eine heilige Handlung: Priester legten die Tage der Ernte fest, die Bearbeitung der Rebstöcke war eine religiöse Handlung, vorbehalten denjenigen, die sich als dafür geeignet gezeigt hatten. Die Verkostung des neuen Weines am Ende des Winters wurde festlich begangen, auch diente der Wein bei fast allen kleinen wie auch großen Anlässen als Medium des Trankopfers und wurde dann auf die Opfergaben, die Erde oder in das Feuer gespritzt. Schließlich kann er als fester Bestandteil von verschiedenen religiösen Festen angesehen werden, zum Beispiel der Lobpreisung der Göttin der weiblichen Fruchtbarkeit, Bona Dea.
Aber eben auch als ganz normaler Durstlöscher, zum Teil versetzt mit Kräutern oder Fruchtessenzen, wurde Wein allerorten feilgeboten und warm oder kalt verzehrt.
Was erhielt man noch an solch einer Theke? Allerneueste Ausgrabungen in der Regio IX, Insula 10 gaben ein fantastisch erhaltenes Fresko einer Stillebens mit zeitgenössischem Essen frei.
Auf dem gut dreißig Zentimeter breiten Bild sieht man im linken Bereich einen antiken Vorläufer der heutigen Nationalspeise „Pizza“, allerdings ohne Tomaten, welche erst Anfang des 16. Jahrhunderts von dem Spanier Hernán Cortés im Zuge der kolonialen Eroberungen der Spanier von Mexiko nach Europa eingeführt wurden. Der Mozzarella hingegen findet zwar eine namentliche Ersterwähnung erst im zwölften Jahrhundert in einem Dokument des bischöflichen Archives in Capua, aber schon Gaius Plinius Secundus Maior, genannt „Plinius der Ältere“ erwähnt in seiner „Naturalis Historia“ im ersten nachchristlichen Jahrhundert die beliebten Molkereiprodukte der Gegend um Mondragone. Dieses nun wieder liegt von Pompei aus nur ca. fünfzig Kilometer die Mittelmeerküste Richtung Norden3.
Wie dem aus sei, man bekam an den rustikalen, marmorgetäfelten Imbiss-Theken des alten Pompei sicherlich eine Menge leckere Dinge für ’ne schmale Sesterze. 😋
Wer es sich leisten konnte, nahm freilich sein Essen nicht „ordinär“ auf der Straße ein, sondern lud Gäste in sein eigenes Domizil und tafelte mit selbigen im oder auf dem sogenannten Triclinium. „Im“, weil sich der Name eines Möbelstückes im Laufes der Zeit auch als Bezeichnung für den Raum, in dem dieses möglicherweise stand, etabliert hatte. Und „möglicherweise“ deshalb, weil bestimmte Formen dieses Tricliniums nicht wirklich als Mobiliar bezeichnet werden können, sondern eher Teil der Immobilie waren.
Dabei handelt es sich um drei sehr großzügige Liegeflächen, welche in U-Form angeordnet sind. Der immobile Charakter ergibt sich daraus, dass diese Dinger aus massivem Stein gemauert waren, also auch nicht verrückt werden konnten.
Oftmals waren auch die Seiten des Tricliniums, wie die Wände drumherum, mit reichen Malereien verziert. Auf dem Stein lagen Matratzen und Kissen, auf denen sich Gäste und Gastgeber entspannt niederließen4.
In der heutigen, archäologischen Wirklichkeit sieht soetwas dann folgendermaßen aus, wobei diese Version noch ein grandioses Upgrade erfuhr: Man ordnete hinter dem lectus medius einen kleinen Votivaltar an, unterhalb dessen frisches Quellwasser aus der Tiefe kam, welches wie ein künstlicher Fluss dann zwischen Tisch und Liegen in ein Bassin mündete. Grandezza! 🤌🏼
Und, wenn man sich einmal anschaut, in welch inspirierender Umgebung so ein „Esstisch“ lag, mag an sich ungefähr ausmalen, welche Bedeutung diese Kulturerrungenschaft auf der iberischen Halbinsel schon damals hatte.
Das nächste, was es zu erkunden galt, waren die vielen Fußbodenmosaike. Man könnte sie mit heutigen Worten auch „steinbasierte Pixelgrafiken“ nennen. Neben den wirklich allenthalben vorzufindenden, auf geometrischen Formen basierenden Mosaiken, war ich vor allem auf zwei ganz bestimmte scharf: Das „Memento Mori“ und die „Alexanderschacht“.
Ersteres könnte dem Einen oder der Anderen geläufig sein aus dem Intro der von HBO, der BBC und dem italienischen Fernsehsender RAI im Jahre 2005 produzierten Serie „Rom“ mit Kevin McKidd, Ray Stevenson und Ciarán Hinds in den Hauptrollen. Gleich am Anfang wurde das erwähnte Mosaik als Aufmacher klasse animiert.
Es kostete mich in ein wenig Recherche, um herauszubekommen, wo ich es finden würde. Es stellte sich dabei heraus, dass es sich dabei um keine Fußboden-Dekoration handelt, sondern um ein Schmuckelement eines Tisches zu einem Triclinium. Ein wohl sehr wohlhabender Gerbereibesitzer, namentlich bekannt als M. Vesonius Primus, ließ es im Peristyl-Garten des Wohntraktes seines weitläufigen Grundstückes anfertigen. Aus verständlichen Gründen wurde dieses einzigartige Kunstwerk schon frühzeitig aus Pompeii entfernt und in das Archäologische Nationalmuseum in Neapel verbracht. Man hat aber in den letzten Jahren eine sehr authentisch aussehende Kopie am Ursprungsort installiert, im Zuge der Restauration des Umfeldes.
Ein weiteres Mosaik, welchem ich hinterher fahndete, ist vermutlich vielen aus Geschichtsbüchern, meistens als Ausschnitt davon, wohlbekannt: Das Konterfei Alexander des Großen, eingebettet in das Getümmel während einer Schlacht gegen seinen Widersacher Dareios III. Die Kunsthistoriker sind sich dabei nicht einig, welche Schlacht genau dargestellt wird; entweder die Schlacht bei Issos 333 v. Chr. oder selbige bei Gaugamela zwei Jahre später, wo die Opponenten abermals aufeinandertrafen. Ungeachtet dessen kann die Erstellung dieses Kunstwerkes mit Sicherheit als ein höchst meditativer Prozess bezeichnet werden. Das 5,82 x 3,13 Meter große Mosaik weißt eine „Pixeldichte“ von fünf bis sechs Steinchen auf den Quadratzentimeter auf, womit wir bei einem Seitenverhältnis von etwa 4:3 und einer „Bildschirmdiagonale“ von 260 Zoll auf etwa XGA+-Auflösung (eine Million Steinchen) kämen. Weil die Präzision und der Detailreichtum des Bildes so bestechend ist, geht man heute davon aus, dass das Motiv selber eine Vorlage hatte, die noch ganz authentisch aus der Zeit der Schlacht stammte.
Das alles ist höchst beachtlich für die Entstehungszeit des Werkes im zweiten Jahrhundert v. Chr., als nämlich das Haus gebaut wurde. Übrigens handelt es sich bei dem „Haus des Faun“ genannten Gebäudekomplex um die komplette Insula 12 in der Region VI, womit die ehemaligen Besitzer sich damit brüsten konnten, das mit knapp 2.500 Quadratmetern bisher größte freigelegte, private Wohnhaus Alt-Pompeiis gehabt zu haben.
Übrigens stammt der moderne Name des Gebäudes in diesem Falle von einer kleinen, aber prägnant im Eingangsbereich platzierten Bronze-Statue eines tanzenden Fauns.
Ein kleine Schleife führte mich noch zum Viertel (Regio VIII, Insula 7, gesamter Ostteil) mit der ziemlich gut erhaltenen Großveranstaltungs-Infrastruktur, als da wären zwei Theater, das große und ein kleineres, genannt Odeion, sowie der Quadriportikus. Die Funktion der ersten beiden sollte jedem einleuchten. Dabei handelte es sich jeweils um halbkreisförmige, in Sektoren und Abschnitte aufgeteilte Tribünen, auf denen schätzungsweise 5.000 bzw. 2.000 Zuschauer Platz nehmen konnten. Den Tribünen gegenüber lag jeweils die Bühne, auf der die antiken Künstler ihre Mimenspiele zu Besten gaben. Der atriumartige, von 74 Säulen umgebene Quadriportikus hingegen diente bis 62 n. Chr. als großzügiges Eingangs- und Pausen-Foyer für beide Event-Locations. Nach dem großen Erdbeben wurde dieses Gelände mit seinen zugehörigen Gebäuden allerdings zur Gladiatoren-Kaserne umfunktioniert.
Das Schicksal der Bewohner
Ein sehr bewegender Moment war das Erkunden des sogenannten „Gartens der Flüchtenden“ (ital. Orto dei Fuggiaschi, Regio I, 21). Dieser steht in seiner museumspädagogischen Bedeutung in einer Reihe mit, von mir gezählt, sechs anderen Besichtigungsorten auf dem Gelände, innerhalb derer Gipsabgüsse von umgekommenen Menschen ausgestellt werden. Die pyroklastischen Ströme während der Eruption des Vesuvs im Jahr 79 n. Chr. kamen offenbar so unvermittelt und vor allem so schnell, dass Personen, die in Gebäuden oder im Freien Schutz vor dem zuerst aufgetretenen Asche- und Vulkangesteinsregen gesucht hatten bzw. versuchten, aus der Stadt zu fliehen, sprichwörtlich und schlagartig geröstet wurden. Das heißt, ihre Körper wurden durch die außerordentliche Hitze instantan verkohlt und damit in ihrer Reglosigkeit konserviert. Anschließend setzte sich der Trümmer-Niederschlag aus erkaltenden Lavabrocken unvermindert fort und umschloss die Figuren mit einer sich verfestigenden Schicht, die im Laufe von 2.000 Jahren durch eingespülte Erde eine luftdichte Umhüllung bildete.
Natürliche Zersetzungsprozesse, welche von der Bodenbeschaffenheit, der Feuchtigkeit, der örtlichen Bakterienflora und ähnlichem abhängen, haben während dieser Zeit meist alles organische Material, inklusive der Knochen verwesen lassen. Jedoch blieben die Hohlkammern der Körper oftmals erstaunlich gut erhalten. Ab den Ausgrabungsarbeiten zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden von ca. 1.000 gefundenen Leichen in Pompeji und 300 solchen in Herkulaneum (wo ich noch nicht war) Gipsabgüsse gerfertigt, welche zum Teil sehr detailliert die Körperhaltung und Gesichtsausdrücke widergeben. Aber auch Kleidung und mitgeführte Gegenstände konnten so ermittelt werden. An anderen Stellen wurden auf diese Weise sogar zahlreiche Lebensmittel, wie Brot, Obst und Gemüse gefunden.
Nun ist es das eine, sich sachlich mit den Todes-Umständen zu befassen und sich wahrnehmend der Ausstellungstücke zu bemächtigen. Ein anderes ist es jedoch, mittels genauer Beobachtung und innehaltendem Verweilen stiller Teilhaber dieses tragischen Geschehens zu werden. Menschen klammern sich in den letzten Momenten hilflos und sehnsuchtsvoll aneinander, versuchen ihre schreckensverzerrten Gesichter zu verbergen oder hocken einfach ohnmächtig ob der Naturgewalt in einer Ecke und harren ihrem eigenen Ende entgegen.
Im Garten der Flüchtenden handelte es sich um eine vermutlich willkürliche Ansammlung von Stadtbewohnern, die offenbar auf der Flucht aus der Stadt Richtung der südlich gelegenen Porta Nocera von einem weiteren Geröll-Niederschlag und der über sie hinwegfegenden Glutwelle überrascht wurden.
Die Gipsabgüsse anschauend und dann über die linke Schulter auf den heute harmlos daliegenden Gipfel des Berges lugend, erschloss sich mir im Ansatz das Ausmaß der Tragödie und ein demütiger Schauer durchfuhr mich im Angesicht der leidenschaftslosen Unberechenbarkeit und brachialen Wirkmacht der uns umgebenden Natur.
Beachtlich ist dabei, dass man in Pompei tatsächlich nur diese eintausend Leichen(hohlräume) fand, obwohl die Stadt zum Zeitpunkt des Vulkanausbruchs mit ca. 20.000 Menschen bevölkert war. Über den Verbleib der restlichen 19.000 Personen kann die Forschung bis heute keine definitive Aussage treffen. Angenommen wird u. a., dass wohl den meisten eine Flucht gelang.
Stichwort „Vesuv“: Diesen riesigen, solitären Berg wollte ich selbstverständlich auch in Augenschein nehmen. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass man dort nicht einfach nach Lust und Laune hochsteigen kann. Vielmehr gilt es, sich online vorher um ein Parkticket und die Eintrittskarte zu kümmern. Das klingt erst einmal ein wenig kompliziert und riecht nach Geldschneiderei. Zieht man aber ins Kalkül, dass der Kraterrand jährlich von weit über 700.000 Menschen besucht wird, ergibt sich tatsächlich die Notwendigkeit für die Verwaltung vor Ort, die Touristenströme sinnvoll zu kanalisieren, tagesbezogen zu begrenzen und eine ordentliche Instandhaltung der Zugänge und Wege sicherzustellen (was natürlich Geld kostet).
Leider stellte sich heraus, dass exakt in meiner Reisewoche der Aufstieg bis ganz hoch hinauf wegen dringend notwendiger Wartungsarbeiten gesperrt war 🙁. Immerhin reden wir von einem fast 1.300 Meter hohen Berg, welcher in seinem „Gipfelbereich“ mehr loses Geröll als festes Gestein aufweist und daher bei unsachgemäßer Erkundung eine Gefahr für Leib und Leben darstellen kann. Örtliche Bewohner erzählten mir bei einer gemütlichen Tasse Tee glaubhaft, dass man als Einzelner gar nicht auf die aberwitzige Menge an blöden Ideen kommen kann, welche den Köpfen instagrammable-Foto-geiler Urlauber entspringen und zur Realisierung drängen – und dann die Besucher selber, aber vor allem die lokale Fauna und Flora massiv bedrohen.
Also habe ich mich damit begnügt, mit dem Auto bis zum höchstmöglichen Platzplatz zu fahren, dort ein mitleidiges Lächeln des Busfahrers zu kassieren, weil ich typisch deutsch und ganz ordentlich um diese Jahreszeit ein Parkticket gelöst hatte und mich so weit ich Lust hatte und es möglich war, zu Fuß dem Gipfel zu nähern. Und siehe da: In der Ferne konnte ich tatsächlich an mehreren Stellen leuchtgelbe Bagger in Bewegung ausmachen, die damit beschäftigt waren, die vielbegangenen Wege zu reparieren.
Auf dem Rückweg hinunter wurde ich dann noch einer modernen Version des Wandfreskos in einem einstmals vorzüglichen Lost-Place-Hotel ansichtig:
Meinen Abschied vom denkwürdigen, aufschlussreichen und sinnenberauschenden Ort des Geschehens nahm ich bei allerbestem Winterwetter mit 14° C, locker schäfchenbewölktem Himmel und untergehender Sonne.
Am Freitag, den 8. Dezember trat ich mit meinem Leih-Panda wieder die Rückreise nach Rom an und machte nur einen kurzen Teaser-Boxenstopp in Caserta an einem der größten Barock-Palastbauten Europas mit über 1.200 Zimmern und einer 100 Hektar großen Parkanlage mit Wasserspielen, die sich über drei Kilometer weit erstrecken. Man braucht ja motivierende Faktoren 🤣.
Nicht lassen kann ich es aber tatsächlich, die Nadel doch noch einmal in den deutschen Ungeist, moderne Funktionsarchitektur (schon das Wort… 🤮) betreffend, zu stecken. Der offensichtliche Unterschied des Abschiedes aus der Ewigen Stadt und dem Empfang in der Reichshauptwahnsinnsmetropole bedarf keiner weiteren Erläuterung außer der folgenden Bild-Ton-Zusammenfassung:
- Was übrigens bedeuten würde, dass, wenn alle
auf den Straßen stünden, jeder ca. fünf Quadratmeter Platz hätte 😱 - Eine Möglichkeit ist die Nutzung einer grandios guten Website: PompeiiInPictures. Man kann sich da durch die entsprechenden Regionen und Insulae durchklicken bis hinein zum einzelnen Haus.
- Plinius d- Ältere, Naturalis Historie, Buch XI, 241(https://la.wikisource.org/wiki/Naturalis_Historia/Liber_XI#97)
- Mehr zu den Tischsitten unter https://www.kirke.hu-berlin.de/petron/tischsitten.html