La fretta e il bene, non stanno mai insieme.
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Neuer Tag, neue Stadt, neues Glück. Die Sonne scheint und das Thermometer zeigt schon um neun Uhr Freude verheißende achtzehn Grad Celsius an. Ein reichlich gefüllter Kühlschrank lockt mich mit seinem vielfältigen Angebot zu einem Frühstück. Interessanterweise unterscheidet sich der von mir am Vortage erworbene Inhalt nur unwesentlich von der üblicherweise zuhause vorfindbaren Produktauswahl. Irgendwann in der Vergangenheit habe ich von einer meiner Rom-Reisen das nahrhafte und nachgewiesenermaßen gesunde Spektrum an südeuropäischen Esswaren in den heimischen Haushalt importiert und dort fest etabliert. Seitdem gehört ein solider Querschnitt der fraglosen Standards der italienischen Küche fest zu meinem eigenen Nahrungsmittel-Repertoire.
Gut gestärkt und kulinarisch eingestimmt stehen mir nach der Morgenmahlzeit in fußläufiger Entfernung die Pforten des Parco Archeologico di Pompeii offen. Ich erwerbe am östlichsten der drei Eingänge, der Porta Anfiteatro, konsequenterweise gleich eine Jahreskarte, weil die nächst preiswertere Einlasskategorie mich ohne Not auf maximal drei Besuchstage für sämtlichen Stätten begrenzen würde. Eine grobe Vorabübersicht ließ mich aber schon länger zu dem Schluss kommen, dass allein die oberflächliche Erkundung des Kerngeländes diesen Zeitraum in Anspruch nehmen wird – nicht zu reden von den darüberhinaus existierenden Anlagen.
Hinein in die vergangene Welt.
Als erstes empfielt sich mir das recht große Amphitheater. Durch den südlichen der zwei möglichen Zugänge betrete ich geradewegs diese antike Event-Location. Nur Momente, nachdem ich in der Mitte des Stadions stehe, durchläuft es mich unvermittelt: „War das nicht der Ort, wo…? Haben nicht dort vor einem halben Jahrhundert…?“
Und genau, eine kleine Ausstellung unter den Tribünen bestätigt meine vage Ahnung: Vom vierten bis einschließlich siebten Oktober 1971 hat die Band Pink Floyd genau hier, 1.892 Jahre nach der verheerenden Eruption des Vesuvs drei Musikstücke ihres, je nach Fassung, beim Original von 1972 acht, in der Version von 1984 elf und bei der Variante von 2003 neun Stücke umfassenden, legendäres Filmes „Pink Floyd live at Pompei“ eingespielt.
Nach eigenen Aussagen der Künstler bewusst als Gegengewicht zu Woodstock avisiert und daher als Rockkonzert ohne Publikum ausgeführt, hat der Regisseur Adrian Maben einen Film daraus geschaffen, der bis heute durch die unerreichte Vermählung der besonderen Örtlichkeit mit den epischen Klängen der sagenhaften Musikgruppe als herausragendes Gipfelerlebnis bezeichnet werden kann. Insbesondere, wenn man sich glücklicherweise gerade am ureigensten Ort des damaligen Geschehens befindet.
Gott sei Dank versteckt sich in meinem Rucksack eine wirklich portable EDV, die ich nun entschlossen auspacke. Ich suche mir ein leicht schattiges Plätzchen am Rande der sonnenbeschienenen Arena, setze mich in den Staub der morituri und schaue mir an Ort und Stelle in einem völlig ungeplanten und dennoch (oder vielleicht deswegen?) geradezu heiligen Ritual den digital gespeicherten Director’s Cut dieses cineastischen Zeugnisses musikalischer Genialität von 2003 an.
Insofern möchte und darf ich niemandem diesen lohnenden Leckerbissen vorenthalten:
Der Rest dieses Besuchstages ist fürderhin ein fluffiges Flanieren durch eine über zwei Jahrtausende alte Stadt. Es ist schon ein sonderbares Gefühl, eine Shopping- und Bar-Meile entlangzugehen und nichts ausgeben zu können beziehungsweise zu müssen, weil die Auslagen seit zwanzig Jahrhunderten unbestückt geblieben sind. Wesentlich entlang der Magistrale Via dell’Abbondanza im Bereich der REGIO II und I geht es vorbei an unterschiedlichsten Lebensmittelgeschäften, Tavernen, Kontoren, öffentlichen Verwaltungsgebäuden, handwerklichen Produktionsstätten, Imbissen, Bordellen, billigen Herbergen und exklusiven Gasthäusern, einfachen Wohnhäusern und herrschaftlichen Patrizier-Villen. Und das so lange, bis meine Beine müde und schwer sind und die untergehende Sonne dem Erkundungstatendrang ein natürliches Ende setzt.
Versonnen schlendere ich die Touristen-Straße Via Plinio bis zur Piazza Bartolo Longo und lasse mich mit einer köstlichen Süßspeise, dem occhio di buo (zu Deutsch: Ochsenauge), am Brunnen gegenüber der Wallfahrtsbasilika Unserer lieben Frau vom Rosenkranz nieder.
Hinter ein paar Schäfchenwolken leuchtet der Sonnenuntergang an einem satt-dunkelblauen Himmel hervor und taucht die Szenerie aus Gotteshaus, Glockenturm, Palmen und Brunnen in ein unwirkliches Instagram-Filter-Abendlicht.
Eine abschließende Stippvisite in der Kirche beendet schließlich meine Sightseeing-Tour. Und bei selbstzubereiteten, zünftigen Spaghetti mit ragù alla bolognese und einem insalata mista beschließe ich mein von Eindrücken volles Tagwerk.
Der darauffolgende Tag wurde ein Wandertag. Zu Fuß (ja, zu Fuß, und das in Italien!) bin ich an den schmalen Rändern vielbefahrener Straßen straight Richtung Westen gelaufen, um das Meer höchstdarselbst in Augenschein nehmen zu können. Zugegeben, eine bisweilen recht öde Angelegenheit – bis auf ein paar kleine Durchguck-Highlights – und manchmal frage ich mich, wie ich 2008 die Pilgerschaft nach Rom eigentlich überstanden habe. Oftmals führte mich dieses Unterfangen damals auch an vergleichbaren Haupt-, Bundes- und Landstraßen entlang. Die Krönung aber war mit Sicherheit ein ca. zwei bis drei Kilometer langes Stück, wo der offizielle, ausgeschilderte Weg kurzerhand auf den Standstreifen einer Autobahn wechselte. Verblüfft durchschritt ich damals die Gittertür, die dieses Abenteuer einläutete und verließ eine halbe Stunde später durch eine eben solche die Rennstrecke wieder.
Soweit ging es dann an diesem Tage zwar nicht, aber von „landschaftlich schön“ konnte auch nicht gesprochen werden. Die „Marina Stabia“, der Hafen meines Zieles, entpuppte sich als unzugänglicher Bereich, der mir auf drei Kilometern lediglich die unschönen Rückseiten von Industriehallen darbot, während ein Ausweichen nach links ebenso unmöglich war, weil dort eine ummauerte Bahntrasse meinen Weg säumte. Naja, letztendlich kam ich in dem um diese Jahreszeit recht verlassenen Städtchen doch noch an und wurde dann belohnt mit außersaisonalen, maritimen Szenerien: Verwaist herumdümpelnden Boten, Kähnen und Schiffen, geschlossener Gastronomie und einer winterfest gestapelten und verpackten Kirmes. Ein paar instagramable Motive fand ich dann doch und will die dem geneigten Leser und der geneigten Leserin nicht vorenthalten: