ROM 05|21

De pulcritudine

Die Galleria Borghese (Aquarell von Sarah A. Besic, basierend auf: Krzysztof Golik, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)

Lesezeit: ca. 20 min

Insel der Seligen, Hort des Glanzvollen, Oase der Brillanz. Ein Ortsbeschreibung, die bestimmt auf viele Ecken in dieser faszinierenden Stadt zutreffen mag. Als das Äußere wie auch das Innere von Bauwerken oder deren betagten Fragmenten, als bildliche Zeugnisse künstlerischen Schaffens, flächig oder räumlich realisiert, oder als weihevolle Hinterlassenschaften besonderer Ereignisse oder Menschen, von winzig klein bis übermächtig groß, begegnet einem in dieser geschichtsträchtigen Stadt unaufzählbar Vieles, was ein der Anmut und Grazie zugängliches Herz höher schlagen lässt oder einen kunsthistorisch interessierten Geist anzuregen vermag. Aber wie aus diesen Worten schon hervorgeht: Diese Aufforderung zur Aneignung von Welt ist ein Prozess, an dessen einem Ende etwas Objekthaftes darauf wartet, wahrgenommen zu werden, während am gegenteiligen Pol ein Jemand dieses Tun veranlassen und zumindest eine Weile aufrecht erhalten muss.

Solche Gelegenheiten bieten sich einem in der Ewigen Stadt teils vereinzelt – da steht dann beispielsweise unvermittelt irgendsoeine marmorne, uralte Monster-Säule mit herausgearbeiteten Geschichten von Krieg, Wundern und Ehre unvermittelt einem Einkaufszentrum gegenüber oder zwischen touristisch durchwirkten Einkaufsstraßen baut sich vor einem ein unvergleichliches Wasserspiel auf – und teils in massierter Häufung wie in den bekannten Sakralbauten (z. B. den sieben Pilgerkirchen), auf Plätzen (z. B. Piazza di Spagna, Piazza Navona) auf den archäologischen Freiflächen (z. B. Forum Romanum, Ostia Antica) und in dezidiert dafür eingerichteten Museen.

Eine dieser beeindruckenden Sammlungen stellt die Dauerausstellung im Casino Nobile der Villa Borghese dar. Bei Letzterem handelt es sich, anders als der Name vermuten lässt, nicht um ein einzelndes Gebäude, sondern eine aus zahlreichen Gebäuden und vor allem der umgebenden Parkanlage bestehenden Ensembles, welches aus dem Landgut einer überaus reichen, adligen Familie hervorging. Die ursprünglich aus Siena stammenden Patrizier finden sich erstmal im 13. Jahrhundert schriftlich erwähnt, stehen in einer Reihe mit anderen, bedeutenden Adelshäusern Italiens bzw. speziell Roms wie den Caetani, den Colonna, den Conti, dem Geschlecht Massimo, den Orsini oder den Savelli und bestehen als europäische Hochadelsfamilie bis zum heutigen Tage fort. Das aktuelle Oberhaupt dieses hochgeborenen Geblüts ist Don Scipione Borghese, welcher interessanterweise mit einer gebürtigen Massimo verheiratet ist – man bleibt unter sich, in strategischen Partnerschaften.

Neben dem bereits erwähnten, ehemaligen Landsitz findet man andere, markante Verweise auf diese mächtige Familie vor allem in Form des Palazzo Borghese, dem Stadtwohnsitz des Fürstengeschlechtes ganz in der Nähe des Augustus-Mausoleums und, noch eindrücklicher, in Form des Familienwappens und der Namenserwähnung mitten über dem Hauptportal des Petersdomes:

Besser kann man in Rom wohl nur schwerlich auf eine Urheberschaft hinweisen. (Foto: sailko, Wikimedia Commons, CC BY-Sa 3.0)

Womit wir, der geneigte Leser und die geneigte Leserin wird es bereits gemerkt haben, ganz elegant das Thema des vergangenen Tages noch einmal aufs Tapet bringen: Die Verbindung von Macht und Schaffenskraft. Ohne erneut eine gesellschaftsphilosophische Diskussion eröffnen zu wollen, sei nur ganz sachbezogen auf diesen hier ebenfalls wiederzufindenden Umstand verwiesen.

Graf Marcantonio Borghese, ein Spross dieser Familie, wagte Mitte des 16. Jahrhunderts – eine katastrophale Dürre in Mitteleuropa lag eben ein Jahr zurück und Kopernikus arbeitete zeitgleich an seinem bahnbrechenden Werk „De revolutionibus orbium coelestium“ – die Übersiedlung von der Toscana in das Latio und wurde Syndikus der päpstlichen Kurie. Das älteste seiner sieben Kinder, Camillo, studierte zunächst Jura und Philosophie, bevor er die Laufbahn eines Klerikers einschlug. Als Priester, Bischof und päpstlicher Leiter des Bistums Rom erwarb er einerseits die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse für die höheren Weihen in der Katholischen Kirche, andererseits flocht er mit seinem klangvollen Namen ehrgeizig die hilfreichen Bande, welche vonnöten sind, wenn man in diesem Rahmen Einfluss erringen will.

Stand er schon nach dem Tode von Papst Clemens VIII. auf der Liste der möglichen Nachfolger, man befand ihn mit seinen 53 Jahren als eigentlich zu jung für das höchste Kirchenamt, so wurde er einvernehmlich vom Konklave der Kardinäle 1605 als Vertreter Christi auf Erden mit dem Namen Paul V. gewählt, als sein Medici-Vorgänger Leo XI. nach nur 26 Tagen im Amt verstarb. Ein Schelm, der Böses dabei denkt…

Papst Paul V., Öl auf Leinwand von Michelangelo Merisi da Caravaggio, 1605, Galleria Borghese, Raum (Foto: Wikimedia Commons, gemeinfrei)

Neben anderen Leistungen, die er während seines Pontifikates vorweisen konnte – er verantwortete maßgeblich die Realisation der Ostfassade (Baumeister: Carlo Maderno) des neu errichteten Petersdomes – ist es vor allem seiner starke Affinität zum künstlerischen Schaffen seiner Zeit zu verdanken, dass er seinen Neffen, Kardinal Scipione Borghese freie Hand ließ, ein mit konfisziertem Geld erworbenes Stück Land zur familiären Sommerresidenz auszubauen und dort eine der bedeutendsten Gemäldesammlungen auf dem europäischen Kontinent zusammenzutragen.

Kardinal Scipione Caffarelli-Borghese, Marmorbüste von Gian Lorenzo Bernini, 1632, Galleria Borghese (Foto: Sailko, Wikimedia Commons, CC BY 3.0)

Bis in die Neuzeit hinein erfuhr die Gallerie stetig Neuerwerbungen und blieb bis ins 19. Jahrhundert weitestgehend verlustlos erhalten. Erst als die Familie Borghese mit den Bonapartes ein unseliges, eheliches Bündnis einging, flossen zahlreiche Kunstwerke auf Geheiß des kleinen Wahnsinnigen ab. Viele dieser verkauften Werke sind heute im Louvre zu bestaunen. Eine Erweiterung speziell durch archäologische Fundstücke rundet die heutzutage vorfindbare Sammlung ab.

Eben diesem Arsenal an künstlerischen Einmaligkeiten wendete ich mich an diesem Tage zu. Für 15,– Euro Eintritt hat man die Möglichkeit, maximal zwei Stunden – dann wird man quasi hinausgekehrt – sämliche Werke auf den zwei Etagen anzuschauen. Das ist in der Praxis sicherlich eine grob fahrlässige Überforderung der Museumsleitung seitens ihrer Besucher. Um aber einen ungefähren Überblick über die Gesamtschau zu gewinnen und um an dem einen oder anderen Opus gedankenvergessen verweilen zu können, ist es durchaus ausreichend.

Das Gebäude wurden von 1983 bis 1997 einer vollständigen, wissenschaftlich betreuten Restaurierung unterzogen, um den architektonischen Stand von 1770 aufzuarbeiten und zu konservieren. Auch wurde das Gebäude mit einem modernen Klimatisierungssystem1 ausgestattet, um den Erhalt der wertvollen Exponante bestmöglich sicherzustellen.

In insgesamt 20 Räumen findet man Bilder, Skulpturen, Mosaike und Objekte von berühmten Namen wie beispielsweise Gian Lorenzo Bernini, Caravaggio, Boticelli, Lucas Cranach dem Älteren, Peter Paul Rubens, Raffael und Tizian. Ein Paradies für Kunstliebhaber, quasi eine Verkostung von Schöpfungen der Edelsten ihrer Zunft vor allem aus der Antike, der Renaissance und des Barock.

Die im Original mit römischen Ziffern markierten Räume folgen in ihrer Benennung meistens einzelnen, bedeutenden Werken, die darinnen untergebracht sind, einer Bezugsperson oder dem bestimmenden Thema. Das Souterrain habe ich mir gespart als Grundriss wiederzugeben, da es im Wesentlichen nur administrative und Funktionsräume beinhaltet.

Eingangshalle: Salon Mariano Rossi; 1: Paolina; 2: David; 3: Apollo und Daphne; 4: Herrscher; 5: Hermaphrodit; 6: Aeneas und Anchises; 7: Ägypten; 8: Silenius; 9: Kapelle; 10: Portikus
(Grafik: Sarah A. Besic; CC BY-SA 4.0)
9: Dido; 10: Herkules; 11: Ferrara-Malereien; 12: Bacchanten (Teilnehmer einer Kultfeier/Orgie); 13: Ruhm; Vestibül; 14: Lanfranco-Loggia; 15: Aurora; 16: Flora; 17: Graf von Angers; 18: Jupiter und Antiope; 19: Helena und Paris; 20: Psyche (Grafik: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Und weil unter den obigen, digitalen Querverweisen eigentlich alles zu finden ist, was man sehen kann, fokussiere ich mich im Folgenden überwiegend auf einzelne Werke bzw. Details von selbigen. Werke und deren Details, die es mir angetan haben, mich belustigten, erschreckten, verwunderten, betörten und inspirierten, den Geschichten dahinter nachzugehen.

Mit welcher Ernsthaftigkeit und Abgeklärtheit diese junge Dame ihr märchenhaftes Haustier da hält. Man glaubt ihrem Blick entnehmen zu können, dass sie sogar ein wenig genervt ist von der Portraitierung. Nach dem Motto: „Oh, nee, noch einer, der mich mit Licco abbilden will! 🙄“

„Dame mit Einhorn“, Öl auf Leinwand, Raffael, ca. 1506, Raum 9 (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Ganz anders dieses jugendliche Geschöpf. Völlig fasziniert (und ertappt?) schaut sie dem Betrachter mitten in die Augen, während der gesamte Rest der Szenerie mit irgend etwas anderem beschäftigt ist.

Ausschnitt aus „Jagd der Diana“, Öl auf Leinwand, Domenico Zampieri, 1616-1617, Raum 19 (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Diesem Typen möchte ich weder bei Tag noch bei Nacht begegnen:

„Marmorbüste von Felice Zacchia Rondinini“, Domenico Guidi, ca. 1660 (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Wie man mit Ölfarbe und Leinwand selbst in einem Hund eine Stimmung erzeugen kann… – ich bin begeistert!

Ausschnitt aus „Amor und Psyche“ von Jacopo Zucchi, 1589, Raum 16 (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Im Folgenden eine Geschichte und ihr Bild:

Susanna und Daniel

In Babylon wohnte ein Mann mit Namen Jojakim. Er hatte Susanna, die Tochter Hilkijas, zur Frau; sie war sehr schön und gottesfürchtig. Und ihre Eltern waren gerecht und hatten ihre Tochter nach dem Gesetz des Mose unterwiesen.
Jojakim war sehr reich; er besaß einen Garten nahe bei seinem Haus. Die Juden pflegten bei ihm zusammenzukommen, weil er der Angesehenste von allen war. Als Richter amtierten in jenem Jahr zwei Älteste aus dem Volk, von denen galt, was der Herr gesagt hat: Ungerechtigkeit ging von Babylon aus, von den Ältesten, von den Richtern, die als Leiter des Volkes galten. Sie hielten sich regelmäßig im Haus Jojakims auf und alle, die eine Rechtssache hatten, kamen zu ihnen.
Hatten sich nun die Leute um die Mittagszeit wieder entfernt, dann kam Susanna und ging im Garten ihres Mannes spazieren. Die beiden Ältesten sahen sie täglich kommen und umhergehen; da regte sich in ihnen die Begierde nach ihr. Ihre Gedanken gerieten auf Abwege und sie wandten ihre Augen davon ab, zum Himmel zu schauen und an die gerechten Strafen zu denken. Beide hatten wegen Susanna Liebeskummer; doch keiner sagte dem anderen etwas von seinem Schmerz. Denn sie schämten sich darüber, dass sie so begierig waren, mit ihr zusammen zu sein.
Ungeduldig warteten sie jeden Tag darauf, sie zu sehen. Und sie sagten einer zum andern: Gehen wir nach Hause, es ist Zeit zum Essen. Sie trennten sich also und gingen weg. Dann aber kehrte jeder um und sie trafen wieder zusammen. Sie fragten einander nach der Ursache und gestanden sich ihre Leidenschaft. Daraufhin verabredeten sie eine Zeit, zu der es ihnen möglich sein sollte, Susanna allein anzutreffen.
Während sie auf einen günstigen Tag warteten, kam Susanna eines Tages wie gewöhnlich in den Garten, nur von zwei Mädchen begleitet, und wollte baden; denn es war heiß. Niemand war dort außer den beiden Ältesten, die sich versteckt hatten und ihr auflauerten. Sie sagte zu den Mädchen: Holt mir Öl und Salben und verriegelt das Gartentor, damit ich baden kann! Die Mädchen taten, wie ihnen befohlen war. Sie verriegelten das Tor und verließen den Garten durch die Seitenpforte, um zu holen, was ihnen aufgetragen war. Von den Ältesten bemerkten sie nichts, denn diese hatten sich versteckt.
Als die Mädchen weg waren, standen die beiden Ältesten auf, liefen zu Susanna hin und sagten: Das Gartentor ist verschlossen und niemand sieht uns; wir sind voll Begierde nach dir: Sei uns zu Willen und gib dich uns hin! Weigerst du dich, dann bezeugen wir gegen dich, dass ein junger Mann bei dir war und dass du deshalb die Mädchen weggeschickt hast. Da seufzte Susanna und sagte: Ich bin bedrängt von allen Seiten: Wenn ich es tue, so droht mir der Tod; tue ich es aber nicht, so werde ich euch nicht entrinnen. Es ist besser für mich, es nicht zu tun und euch in die Hände zu fallen, als gegen den HERRN zu sündigen.
Da schrie Susanna mit lauter Stimme auf. Aber zugleich mit ihr schrien auch die beiden Ältesten und einer von ihnen lief zum Gartentor und öffnete es. Als die Leute im Haus das Geschrei im Garten hörten, eilten sie durch die Seitentür herbei, um zu sehen, was ihr zugestoßen sei. Als die Ältesten ihre Erklärung gaben, schämten sich die Diener sehr; denn noch nie war so etwas über Susanna gesagt worden.
Als am nächsten Morgen das Volk bei Jojakim, ihrem Mann, zusammenkam, erschienen auch die beiden Ältesten. Sie kamen mit der verbrecherischen Absicht, gegen Susanna die Todesstrafe zu erwirken. Sie sagten vor dem Volk: Schickt nach Susanna, der Tochter Hilkijas, der Frau Jojakims! Man schickte nach ihr. Und sie kam, begleitet von ihren Eltern, ihren Kindern und allen Verwandten. Susanna war aber sehr zart und schön von Aussehen. Sie war aber verschleiert.
Um sich an ihrer Schönheit zu weiden, befahlen die Gewissenlosen, sie zu entschleiern. Ihre Angehörigen aber und alle, die sie erblickten, weinten. Die beiden Ältesten aber standen auf inmitten des Volkes und legten ihre Hände auf den Kopf Susannas. Sie aber blickte weinend zum Himmel auf; denn ihr Herz vertraute dem HERRN.
Die Ältesten sagten: Während wir allein im Garten spazieren gingen, kam diese Frau mit zwei Mägden herein. Sie ließ das Gartentor verriegeln und schickte die Mägde fort. Dann kam ein junger Mann zu ihr, der sich versteckt hatte, und legte sich zu ihr. Wir waren gerade in einer abgelegenen Ecke des Gartens; als wir aber die Sünde sahen, eilten wir zu ihnen hin und sahen, wie sie zusammen waren. Den Mann konnten wir nicht festhalten; denn er war stärker als wir; er öffnete das Tor und entkam. Aber diese da hielten wir fest und fragten sie, wer der junge Mann war. Sie wollte es uns aber nicht verraten. Das alles können wir bezeugen.
Die versammelte Gemeinde glaubte ihnen, weil sie Älteste des Volkes und Richter waren, und verurteilte Susanna zum Tod. Susanna aber schrie auf mit lauter Stimme und sagte: Ewiger Gott, du kennst auch das Verborgene; du weißt alles, noch bevor es geschieht. Du weißt auch, dass sie eine falsche Aussage gegen mich gemacht haben. Darum muss ich jetzt sterben, obwohl ich nichts von dem getan habe, was diese Menschen mir vorwerfen.
Der HERR erhörte ihr Rufen. Als man sie zur Hinrichtung führte, erweckte Gott den heiligen Geist in einem jungen Mann namens Daniel. Dieser schrie mit lauter Stimme: Ich bin unschuldig am Blut dieser Frau. Da wandten sich alle Leute nach ihm um und fragten ihn: Was soll das heißen, was du da gesagt hast? Er trat mitten unter sie und sagte: Seid ihr so töricht, ihr Söhne Israels? Ohne Verhör und ohne Prüfung der Beweise habt ihr eine Tochter Israels verurteilt. Kehrt zurück zum Ort des Gerichts! Denn diese Ältesten haben eine falsche Aussage gegen Susanna gemacht.
Eilig kehrten alle Leute wieder um und die Ältesten sagten zu Daniel: Setz dich hier mitten unter uns und sag uns, was du zu sagen hast! Denn dir hat Gott den Vorsitz verliehen. Daniel sagte zu ihnen: Trennt diese beiden Männer, bringt sie weit auseinander! Ich will sie verhören. Als man sie voneinander getrennt hatte, rief er den einen von ihnen her und sagte zu ihm: In Schlechtigkeit bist du alt geworden; doch jetzt kommt die Strafe für die Sünden, die du bisher begangen hast. Ungerechte Urteile hast du gefällt, Schuldlose verurteilt, aber Schuldige freigesprochen; und doch hat der HERR gesagt: Einen Schuldlosen und Gerechten sollst du nicht töten. Wenn du also diese Frau wirklich gesehen hast, sage: Unter welchem Baum hast du sie miteinander verkehren sehen? Er aber sagte: Unter einem Mastixbaum. Da sagte Daniel: Mit deiner Lüge hast du dein eigenes Haupt getroffen. Der Engel Gottes wird dich zerspalten; schon hat er von Gott den Befehl dazu erhalten.
Dann ließ er ihn wegbringen und befahl, den andern vorzuführen. Zu ihm sagte er: Du Sohn Kanaans, nicht Judas, dich hat die Schönheit verführt, die Leidenschaft hat dein Herz verdorben. So tatet ihr an den Töchtern Israels und jene verkehrten mit euch, weil sie sich fürchteten; aber eine Tochter Judas duldete eure Gesetzlosigkeit nicht. Nun sag mir: Unter welchem Baum hast du sie ertappt, während sie miteinander verkehrten? Er sagte: Unter einer Eiche. Da sagte Daniel zu ihm: Mit deiner Lüge hast auch du dein eigenes Haupt getroffen. Der Engel Gottes wartet schon mit dem Schwert in der Hand, um dich mitten entzweizuhauen. So wird er euch beide vernichten.
Da schrie die ganze Gemeinde laut auf und pries Gott, der alle rettet, die auf ihn hoffen. Dann erhoben sie sich gegen die beiden Ältesten, die Daniel durch ihre eigenen Worte als falsche Zeugen entlarvt hatte. Das Böse, das sie ihrem Nächsten hatten antun wollen, tat man nach dem Gesetz des Mose ihnen an: Man tötete sie. So wurde an jenem Tag unschuldiges Blut gerettet. Hilkija und seine Frau priesen Gott wegen ihrer Tochter Susanna, ebenso ihr Mann Jojakim und alle Verwandten, weil sich zeigte, dass sie nichts Schändliches getan hatte. Daniel aber gewann seit jenem Tag und auch weiterhin beim Volk großes Ansehen.
Quelle: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, vollständig durchgesehene und überarbeitete Ausgabe© 2016 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart. Alle Rechte vorbehalten. URL: https://www.bibleserver.com/EU/Daniel13

Hat der niederländische Maler die Schlüsselszene dieser Geschichte aus der Bibel nicht fantastisch dargestellt? Diese bigott-gierigen Blicke der zwei alten Männer, im Dunkel verborgen, während das Opfer dieses sexuellen Übergriffes im Licht des Geschehens dargestellt ist ?

„Susanna und die Ältesten“, Öl auf Leinwand, Gerrit van Honthorst, 1655, Raum 17 (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Im Folgenden schaut man völlig arglos nach oben an die Decke und findet dort ein Fresko, das perspektivisch so echt wirkt, als wenn die Figuren tatsächlich aus Marmor wären:

Ausschnitt aus „Rat der Götter“ von Giovanni Lanfranco, 1624-1625, Raum 14 (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Was aus Stein für Details herausarbeiten können… 😱😂👍🏼

Mamorbüste einer Dame, Künstler unbekannt, ca. 1.-2. Jh. n. Chr., Vestibül (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Noch eine Geschichte und ihr Bild. Interessant ist es dabei, zu wissen, dass die gebildeten Römer es irgendwie fancy fanden (oder kultureller Fortschritt es einfach mit sich brachte, wie auch immer…), die griechische Kultur zu ihrer eigenen zu machen. Heute krakeelen proxy-empörte Sozialwissenschaftler (m/w/d) gerne, den moralischen Zeigefinger erhebend, über eine mutmaßlich verbotene, kulturelle Aneignung, wenn Kinder zur Faschingszeit indianischen Kopfschmuck tragen, oder in falschen Kontexten die falschen Speisen gereicht werden.

Also, wie gesagt, die alten Römer hätten sich bei dieser frömmlerischen Pharisäerhaftigkeit vor Lachen auf die Schenkel geklopft. Man übernahm fröhlich eine ganze Kollektion kultureller Errungenschaften, taufte alles um und fertig waren die eigenen Zivilisations-Ingredenzien. Damit einhergehend wurde auch die klassische Mythologie und damit das gesamte göttliche Personal des Peleponnes einverleibt. Wenn also von Jupiter die Rede war, meinte man ursächlich Zeus, Merkur verweist auf Hermes und so weiter und so fort. Betreffend der folgenden Story und der darauf Bezug nehmenden Marmorfigurengruppe von Meister Bernini ist die genannte Proserpina (auch: Kore) eigentlich Persephone, Tocher von Jupiter und Ceres, welche bei den Hellenen Zeus und Demeter hießen. Der römische Pluto ist demnach der Herr der Unterwelt, welcher zuvor als Hades bekannt war.

Die Geschichte dahinter kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sowohl im homerischer Hymnus als aus in zwei Werken von Ovid, sowie bei Caudian finden wir Hinweise auf diesen göttlichen Krimi, dessen Symbolgehalt weit über die eigentliche Geschichte hinausreicht. Ich gebe nur zwei greifbare von vielen möglichen Hinweisen: Übergang der Menschheit von der Jäger- und Sammlergesellschaft zur sesshaften Ackerbau- und Viehzuchtkultur und zweitens die staatliche Einrichtung und Gewährleistung eines bewusstseinerweiternden Rituales (dazu ein lesenwertes Buch: Wasson, R. Gordon, Albert Hofmann, und Carl A. P. Ruck. The road to Eleusis: unveiling the secret of the mysteries. 30th anniversary ed. Berkeley, Calif: North Atlantic Books, 2008; hier bei Amazon erhältlich), welches nachweislich über fast 2.000 Jahre aufrecht erhalten wurde.

Der Raub der Proserpina

Der dunkler Herrscher der Unterwelt, Hades, verliebte sich einst sich in die schöne Persephone. Sie war die Tocher seines mächtigen Bruders Zeus und der Demeter, der Herrin der Ernte. Also machte er sich eines Tages auf aus seiner ewigen Dunkelheit hinauf zum Olymp, dem erhabenen Sitz der Götter und bat mit Nachdruck den obersten Götterherrscher um deren Hand.
Wissend, dass die junge Persephone nicht freiwillig in die sonnenlose Unterwelt hinabsteigen würde, stimmte ihr Vater Zeus diesem Begehr jedoch weder zu noch lehnte er es ab. Hades jedoch in seinem Liebeswahn deutete dieses Schweigen als Zustimmung.
Es begab sich nun aber, dass Persephone fern von ihrer Mutter Demeter mit den Töchtern des Okeanos auf fruchtbarem Wiesengrund spielte. Sie pflückte ein wenig abseits allerlei wundervolle Blumen, duftende Rosen, leuchtende Krokusse und zarte Veilchen, Lilien, Hyazinthen auch und Narzissen. Da tat sich jäh die Erde auf und aus dem Abgrund kam der Herr der Finsternis hervor, griff sich das entsetzte Mädchen und zog es hinab in die Tiefen der Erde. Ihre verzweifelten Schreie drangen an die Oberfläche und in die Ohren ihrer Mutter, die sich umgehen auf die Suche nach ihr begab. Neu Tage und Nächte irrte die verzweifelte Demeter umher, vor Kümmernis unfähig, auch nur einen Bissen zu essen oder etwas zu trinken, fand aber ihr geliebtes Kind nicht. Hekate, die Göttin der Magie, konnte ihr von der Entführung berichten, wusste aber nichts über den Entführer. Zusammen machten die zwei Frauen Helios, dem Sonnengott, ihre Aufwartung. Er, dem nichts verborgen blieb, hatte den Raub gesehen und wusste durchaus zu berichten, was es damit auf sich hatte. Beschwichtigend riet er der sorgenvollen Mutter, es dabei bewenden zu lassen, schließlich sei ihr Spross bei Hades als dem Herrn eines Drittels der Welt doch in guten Händen.
Demeter freilich ließ sich solcherart nicht abspeisen. In rasender Wut wandte sie sich von den Göttern ab und oblegte ihnen den Fluch auf, dass keine Pflanze unter dem Himmel mehr sprießen möge und lebte fortan als Doso, eine alte Kreterin verwandelt unter den Menschen. Dort hielt sie ihr wahres Wesen verborgen und übernahm die Pflege des spätgeborenen Sohnes der Mataneira und des Keleos. Erst als sie, die den wundervoll gedeihenden Knaben gleich einem Gott nährte, ihm auch noch die Unsterblichkeit zuteil lassen werden wollte, wurde sie von der verängstigten Mataneira des Wahnsinns bezichtigt, und enthüllte daraufhin das Geheimnis ihrer wahren, göttlichen Gestalt.
Derweil aber Gaias Boden verdorrte und die Ernten aller Lande verdarben und die Menschen bitteren Hunger litten, unterließen sie es in ihrer Not, die Götter zu preisen und mit Opfergaben zu beglücken. Klagend erhob sich darauf das herrschaftliche Himmelsvolk und beschwor Zeus, um ihrer aller Heil willen etwas zu unternehmen. Der allgewaltige Vater des Olymps aber gebot daraufhin dem Hades, seine Gefangene ohne Verzug freizugeben.
Widerstrebend kam der König der Unterwelt der Aufforderung nach, wandte jedoch eine heimtückische List an: Bevor er die darbende Persephone aus seinem Reich entließ, gab er ihr ein paar Granatapfekerne als Wegzehrung mit. Begierig schlang diese, nachdem sie Äonen ohne Speise im Totenreich geweilt hatte, die appetitliche Kost herunter. Als sie, im Lichte der Oberwelt wieder angekommen, glücklich und erleichtert ihrer Mutter in die Arme fiel, durchfuhr sie die Erkenntnis wie ein Blitz, dass niemand, der vom Essen der Toten gekostet habe, jemals wieder auf Dauer auf der Erde wandeln könnte.
Durch die widerstreitenden Anliegen – hier die Notwendigkeit, den Menschen Speise wachsen zu lassen, auf dass sie den Göttern wieder huldigen würden, dort die Einhaltung der unverbrüchlichen Gesetze des Schattenreiches – waren Hades und Demeter gezwungen, eine Einigung zu finden. Fortan sollte Persephone acht Monate im Angesicht Helios’ mit ihrer Mutter in der Oberwelt weilen dürfen, während sie den Rest des Jahreskreises bei ihrem Entführer verbringen müsste.
So kam es, dass während der Spanne, da Persephone von ihrer Mutter getrennt war, selbige aus Trauer alle Pflanzen sich schlafen legen ließ. Wenn aber die Tochter wieder an das Tageslicht trat, blühte und grünte die Welt, dass es nur so ein Freude war. Das erste Korn, welches die Herrin der Ernte nach dieser Übereinkunft wieder sprießen ließ, wuchs auf dem Feld des Rherus bei Eleusis. Sie bestimmte, dass dort ein Tempel errichtet und fortan jedes Jahr ein Fest gefeiert werden möge. Die Zeremonie sollte der folgenschweren Geschichte des Raubes ihrer Tochter in das Totenreich geweiht werden und gleichzeitig als ein Dank und Lobpreis der irdischen Fruchtbarkeit an die Segnungen und Herrlichkeit der Götter erinnern.

„Il ratto di Proserpina“, Gian Lorenzo Bernini, Marmor, 1621/22, Raum 4 (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

So, und jetzt sage mir Einer oder Eine, dass Maestro Bernini nicht vituos mit Hammer und Meißel aus einem groben Stück Fels eine lebendige Skulptur herauszuarbeiten imstande gewesen wäre.

Nochmal, aus einer anderen Perspektive. Detail „Il ratto di Proserpina“, Gian Lorenzo Bernini, Marmor, 1621/22 (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Bei dem folgenden Werk hat Michael Angelo Merigi, genannt Caravaggio sein Können und seine Schaffenskraft meisterlich unter Beweis gestellt: Es galt, die komplexe, vielgestaltige Biografie des Heiligen Hieronymus (347-420 n. Chr.), eines der vier spätantiken Kirchenväter (die anderen drei: Ambrosius von Mailand, Augustinus von Hippo und Gregor der Große) in einem Bild darzustellen. Der studierte Priester und Seelsorger und überzeugte Asket, der Zeit seines Lebens den Dingen unnachgiebig auf den Grund ging und temperamentvoll seine Positionen verteidigte, sah sich im Rahmen seines Wirkens in Rom harrscher Kritik ausgesetzt, als eine wohlhabende Witwe ihm allzu ehrgeizig nacheiferte und sich zu Tode hungerte. Er verließ mit einigen Getreuen seine Betätigungsstätte in Richtung Heiligem Land, wo er sich den Fragen des Glaubens fortan noch intensiver in Denken und Handeln widmete. Er gründete und leitete dort ein Männerkloster, drei Witwen- und Jungfrauenstifte und ein Pilgerhospitz, übersetzte die damals in altgriechisch verfasste Bibel in ein modernes, verständliches Latein und schuf mit dieser Vulgata genannten Heiligen Schrift ein Standardwerk, welches die folgenden 1.200 Jahre quasi unverändert die Grundlage des christlichen Glaubens der Westkirche bleiben sollte.

Das sitzt er nun, der alte Mann und brütet über seiner Arbeit. Den Tod in seiner Einfachheit und Vielgestalt immer vor Augen, in kaum verhüllter, asketischer Nackheit dem Studium der vor ihm liegenden Schriften bloß und bar hingegeben:

„San Girolamo“, Michael Angelo Merisi di Caravaggio, Öl auf Leinwand, 1605/6, Raum 8 (Foto: Sarah A. Besic, CC BY-SA 4.0)

Es gäbe da noch so viel zu vorzustellen und darüber zu schreiben. Diese kleine, bescheidene Auswahl soll’s aber für diesen Tag gewesen sein. Irgendwie muss ja auch noch ein Funken Motivation erhalten bleiben, die Dinge unter Umständen höchstselbst und vor Ort in Augenschein nehmen zu wollen.

p.s.: Ich war so verblüfft und hocherfreut über die Geschwindigkeit, mit der meine vormalige Anregung zum verschenkenden Erwerb eines kleinen, silbernen Zahlungsmittels aus der Zeit des Römischen Kaiserreiches verwirklicht wurde. Gleichzeitig betrübte es mich, dass andere, die nicht so rasant schnell waren bei der einmaligen Akquisition des Münzleins, arglos bei mir zurückfragten, warum denn das Angebot inaktiviert wäre. Auch denen möchte ich an dieser Stelle meinen Dank für ihr (vergebliches) Vorhaben aussprechen.

Für die Möglichkeit, mir Wertschätzung für meine hier vorbrachte Arbeit ausdrücken zu können, gibt es jedoch einen adäquaten Ersatz: Es verhält sich nämlich so, dass mir vor geraumer Zeit mein geliebtes Fahrrad niederträchtigerweise gestohlen wurde. Nun ist ein solches Gefährt für mich viel mehr als nur ein beweglicher Untersatz. Es für mich ist auch noch mindestens Welterkundungsmedium, Raumerweiterungswerkzeug, Meditationskissen und Gedankenbefreiungsinstrument. Die 6.000 und mehr Kilometer im Jahre, die ich damit zurücklege, sprechen eine deutliche Sprache und für sich selber.

Und weil es damit quasi auf gleicher Stufe wie die Grundnahrungsmittel für mich steht, ist es unumgänglich, einen neuen Drahtesel zu erwerben. Naturgemäß und seiner vielfältigen Zweckbestimmung entsprechend werde ich das gute Stück komplett selber zusammenbauen. Dafür habe ich eine ganze Weile Technik, Werkzeuge, Komponenten, Zusammenwirkungsmöglichkeiten und Unverträglichkeiten studiert. Herausgekommen ist eine Teileliste, die zunächst nur als Excel-Tabelle vorlag. Selbige habe ich nun als Wunschliste 🚲aufbereitet. Wer also als Zeichen des Lobes, des Dankes oder den Anspornens mir eine Freude bereiten will, sei eingeladen, mir von der genannten Liste etwas zukommen zu lassen. Ich danke zutiefst im Voraus! 👍🏼🥰🥳 (Und bitte daran denken: Reservierung nicht vergessen, damit ich nicht ein Dreirad bauen muss; außerdem hätte ich die Rechnung gerne, weil ich dieses Rad nun separat versichern werde.)

  1. Santoli, Livio de, Francesco Mancini, Stefano Rossetti, und Benedetto Nastasi. „Energy and System Renovation Plan for Galleria Borghese, Rome“. Energy and Buildings 129 (Oktober 2016): 549–62.